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John le Carré über Mafia und Milliarden

Der Altmeister des Spionageromans legt sein neues Buch vor

© Die Berliner Literaturkritik, 26.10.10

Von Andrej Sokolow

 

BERN (BLK) - John le Carré, der Altmeister des Spionageromans, entdeckt mit seinem neuen Buch wieder, was ihn im Kalten Krieg berühmt gemacht hat: Die Gefahr aus Russland. Doch „Verräter wie wir“ handelt von einer anderen Bedrohung als damals: Statt sowjetischer Raketen und Moskaus Spionen sind es heute die Milliarden an zweifelhaftem Geld, die aus Russland in den Westen fließen.

Le Carré ist es ernst mit seiner Botschaft. „Der Durst nach russischem Geld“ sei eine Gefahr für den Westen, sagt er mit Überzeugung. Denn schmutzige Milliarden und Neureiche ohne moralischen Kompass seien Gift für eine bereits von Raffgier zerfressene Demokratie. „Das sieht man in Großbritannien besonders deutlich, wo man ständig auf russische Oligarchen trifft.“ Verwicklungen zwischen britischen Politikern und halbseidenen Russen seien einer der Auslöser für den Roman gewesen.

„Verräter wie wir“ ist damit zwar erneut ein Buch mit Botschaft, gelang le Carré aber wieder aufregender als die beiden Vorgänger, die zuweilen wie ein Bildungsroman wirkten. Das Herzschlag-Tempo der Erzählung, die Art, wie Figuren und Details nach Art eines Fotoabzugs allmählich hervortreten - Fans dürften alles wiederfinden, was ein le-Carré-Buch ausmacht.

Die Geschichte beginnt mit einem harmlosen Tennisspiel. Der junge Akademiker Perry und seine Freundin Gail, eine angehende Anwältin, werden im Urlaub von einem reichen Russen zu einem Match herausgefordert. Doch an diesem Morgen treten sie nicht nur auf den sonnendurchfluteten Tennisplatz auf Antigua, sondern auch in die Welt von russischen Mafiosi und Geheimdiensten. Mit allem, was dazugehört: Gewalt, Gefahr, Angst und Verrat.

Denn Dima, der bullige russische „Minigarch“, will nicht einfach nur ein paar Bällen hinterherjagen. Der Geldwäscher der russischen Unterwelt hat einen großen Plan für seine Zukunft. Doch dafür braucht er den britischen Geheimdienst und Perry als Mittelsmann. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn niemand weiß, wie tief sich die Korruption durch die Ränge der Londoner Staatsdiener gefressen hat.

Um Liebe, Verrat und Betrug drehten sich alle le-Carré-Romane. Das neue ist das ultimative Buch über Verrat: Am Ende wird jeder irgendetwas oder irgendjemanden verraten haben, und wenn auch nur sich selbst.

Für die wenigen Interviews zum neuen Buch lud le Carré nach Bern - in die Stadt, die einst im Kalten Krieg bei Spionen aller Seiten beliebt war. Le Carré ist mit seinen 79 Jahren rüstig, geistreich - und aufrecht: Schmutziges Geld aus Russland sei eine „moralische Gefahr für die westliche Gesellschaft“, gibt er zu Protokoll. Und zwar eine, vor der man sich nur schwer schützen könne.

Die Idee für das Buch habe er schon im Kopf gehabt, seit er 1991 in Moskau einen echten russischen Mafioso getroffen habe. Der Schriftsteller, der einst unter seinem bürgerlichen Namen David Cornwell selbst ein angehender Spion war und im Kalten Krieg den Ost- West-Konflikt beschrieb, durfte damals einen Blick hinter den Eisernen Vorhang werfen. Auf seine Bitte hin fädelten ausgerechnet die Betreuer vom russischen Geheimdienst KGB ein Treffen mit einem Nachtclub-Besitzer aus der Unterwelt ein.

„Er wirkte wie ein Michelin-Männchen mit Sonnenbrille, die er auch im abgedunkelten Club um zwei Uhr morgens trug“, erinnert sich le Carré. Das Gespräch kam nicht so recht in Gang. „Da fragte ich ihn, ob er sich vorstellen könnte, irgendwann einmal von seinem Geld etwas der Gesellschaft zurückzugeben, vielleicht Krankenhäuser oder Schulen zu bauen.“ An diesem Punkt habe der Russe aufgeregt zu reden begonnen. „Ich dachte, jetzt habe ich endlich einen Nerv getroffen. Bis mein Übersetzer leicht entsetzt flüsterte: "Mr. David, ich fürchte, Mr. Dima sagt, Sie sollen sich Ihre Fragen in den Allerwertesten stecken."

„Jetzt, da man in England ständig auf russische Milliardäre treffe, habe er das Gefühl gehabt, die Zeit sei reif für diese Geschichte, sagt le Carré. Und wie würde George Smiley, seine wohl berühmteste Romanfigur, das Ganze heute sehen? Le Carré überlegt. „Smiley wäre überzeugt, dass sich der Westen hätte viel mehr Mühe mit Russland geben müssen“, sagt er schließlich. „Und Smiley würde sagen, man kann den Bären mögen, aber man kann ihm nie trauen. Der russische Bär wird immer ein Bär bleiben.“

 


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