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Jüdische Traditionen

Viola Roggenkamps Roman „Die Frau im Turm“

© Die Berliner Literaturkritik, 19.03.09

 

Von Andreas Heimann

 

Viola Roggenkamp hat ihr literarisches Thema gefunden: jüdische Identität in Deutschland. Ihr Roman „Familienleben“ über die Frauen einer deutsch-jüdischen Familie aus drei Generationen ist dafür hochgelobt worden. In ihrem neuen Buch „Die Frau im Turm“ knüpft die Autorin aus Hamburg daran an. Wieder sind die zentralen Figuren weiblich. Diesmal allerdings blickt Viola Roggenkamp noch weiter zurück in die Geschichte, ins 18. Jahrhundert, als sich erstmals auch Christen intensiver mit jüdischer Tradition und Kultur auseinandersetzten.

 

Eine davon war Anna Constantia Reichsgräfin von Cosel, eine eigensinnige Persönlichkeit, die sich leicht als schillernd abqualifizieren ließe. Viola Roggenkamp reizt genau das. Sie hat sich intensiv mit der Biografie der Gutsherrentochter beschäftigt, bei der auch August der Starke schwach wurde: Mit Mitte 20 wurde die Gräfin seine Geliebte. Wie nebenbei erzählt der Roman die Lebensgeschichte der klugen Mätresse des sächsischen Kurfürsten und Königs von Polen.

 

Zehn Jahre lang war sie dessen Lieblingsnebenfrau, dann wurde sie auf Burg Stolpen bei Dresden eingesperrt, damit sie dem Herrscher nicht gefährlich werden konnte. Bis zu ihrem Tod 1765 lebte sie fast ein halbes Jahrhundert in dieser kleinen Welt. Schon das ist Stoff für einen Roman, einen historischen, wahrscheinlich einen langweiligen. Viola Roggenkamp hat das gespürt und erzählt parallel noch eine ganz andere Geschichte.

 

Darin spielt die junge Hamburgerin Masia die Hauptrolle. Von ihrem Vater weiß sie nur, dass er ein Jude war, sich nach der Geburt von ihrer Mutter getrennt hat und in der DDR lebte. In Dresden geht sie auf die Suche nach ihm. Wie die von den eigenen jüdischen Wurzeln faszinierte Masia mit der ernüchternden Wirklichkeit konfrontiert wird, gehört zu den gelungensten Passagen des Romans. Ihr Vater, der Max heißt und sich Maurice nennt, entpuppt sich als wenig eindrucksvolle Figur, der mit jüdischen Traditionen wenig anfangen kann. Der Kettenraucher jobbt als Concierge und war in der DDR auch noch IM bei der Stasi.

 

Gräfin von Cosel hat sich der jüdischen Kultur erfolgreicher angenähert. Immer wieder hat sie Kontakt zu Juden gehabt, zu kleinen Kaufleuten wie zu gelehrten Rabbinern. Sie hat Hebräisch gelernt, den Sabbath gefeiert, kein Schweinefleisch mehr gegessen. Als sie stirbt, lässt sie sich ein Pergament auf die Brust legen mit einem Text aus dem fünften Buch Mose. Auf ihre Weise ist sie angekommen, Masia muss noch weiter suchen. Viola Roggenkamp ist zu klug für ein Happy End auf ganzer Linie. Und das ist auch gut so.

Literaturangaben:
ROGGENKAMP, VIOLA: Die Frau im Turm. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 425 S., 19,95 €.

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