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Ödön von Horváth: „Jugend ohne Gott“

Die neue Auflage Ödön von Horváths Buch „Jugend ohne Gott“

© Die Berliner Literaturkritik, 26.06.09

Der Roman „Jugend ohne Gott“ von Ödön von Horváth hat seinen Platz auf der Liste der Pflichtlektüren nicht verdient. Wenn Pflicht gemeint ist, ist bekannterweise die Leselust vorbei, was auf das zuerst 1937 in Amsterdam erschienene Buch nicht zutrifft. Ironisch, passagenweise zynisch, kompakt wie ein Drama und fesselnd wie ein Krimi ist dieser Klassiker aus der schwarzen Liste der im Dritten Reich verbotenen Bücher. Jetzt ist eine neue Auflage beim Diogenes Verlag erschienen.

Am Anfang ist der Protagonist des Romans, ein junger Lehrer, der in der Zeit des Dritten Reiches unterrichtet, noch unschuldig. Er korrigiert die Aufsätze seiner Schüler und ist sich nun unsicher, ob er die Äußerung „Alle Neger sind hinterlistig, feig und faul“ durchstreichen soll, oder nicht. Er beschließt den Satz stehen zu lassen, denn: „Was einer im Radio redet, darf kein Lehrer im Schulheft streichen.“. Aber macht er sich dann alles nicht zu leicht? Ist er nicht selbst der Mitläufer, der dem Gelispelten, Drohenden, Bellenden der faschistischen Radiosendungen seine stille Zustimmung gibt? Ja, sicherlich ginge es anders, der Lehrer will dennoch nichts riskieren, seinen Job, die gesicherte Pensionierung, ein gemietetes Zimmer mit Blumenstrauß von der Hausfrau zum Geburtstag. Im Laufe der Zeit ändert sich dennoch seine Einstellung. Involviert in einen Mordfall zwischen den Schülern, bekennt er sich seiner mittelbaren Teilnahme schuldig. Die Reflexion, die ihn durch den ganzen Roman begleitet, lässt ihn am Ende aus dem System ausbrechen und als gescheiterter, dennoch souveräner Mensch Deutschland verlassen. Er geht nach Afrika, um dort zu unterrichten.

Würde man den Roman aus der Perspektive eines heutigen Lehrers lesen, d.h. didaktisch, brav und politisch korrekt, müsste man feststellen, dass der junge Lehrer im Roman gegen jedes Gebot einer pädagogischen Arbeit verstößt: Er hasst seine Schüler, er kennt sie nicht. Er bedient sich dennoch eines Tricks, der auf ironische Art und Weise die Wahrheit über das Lehrer-Schüler-Verhältnis ans Licht bringt. Er spricht über seine Zöglinge, als wären sie nur Buchstaben im Alphabet: Z, N, T, B und nennt dabei das Kind wirklich beim Namen. Ein respektvoller Umgang ist zwischen beiden Generationen nicht gegeben. Nicht Vertrautheit und Verständnis bestimmen das gegenseitige Verhältnis, sondern Misstrauen.

Es ist daher auch kein Wunder, dass ein alter Freund des Lehrers namens Julius Cäsar die aufkommende Ära des Dritten Reiches als „Zeitalter der Fische“ definiert. Ein Fisch entzieht sich einer  Berührung. Die Jugendlichen werden zu faschistischen Mitläufern erzogen. Teilnahmslos und ohne eigenständiges Denken sind sie in die NS-Maschinerie hineinkatapultiert. Horváth stellt in diesem Zusammenhang noch ein Problem in den Mittelpunkt, das einen uralten Konflikt darstellt. Einen Konflikt zwischen den Plebejern, unter denen Hitler zum Hauptplebejer avanciert, und der intellektuellen Mittelschicht.

Der Autor zeigt zu Anfang des Buches das auf, was uns bekannterweise bereits die Geschichte vor Augen geführt hat. Die großen Veränderungen, politische Umwälzungen und Revolutionen sind vom Niederträchtigen und Plebejischen getrieben. Die subtile intellektuelle Substanz geht am meisten in Gewässern ihres eigenen Opportunismus verloren. Diese schwarz-weiße konventionelle Gegenüberstellung geht zum Schluss in die Brüche. Der feinere, gerechte Geist wird zwar die Masse nicht besiegen, dennoch ihr mindestens den Rücken kehren. Vor diesem Hintergrund stellt der Autor die Entwicklung des Protagonisten dar, die von einem kritisch-gleichgültigen Mitläufertum bis zum Wiederfinden des Glaubens an Gott führt. Diesen Weg zu beschreiten scheint auf den ersten Blick für den Leser ein wenig plakativ.

Ödön von Horváth – ein bekennender Katholik? Ein Schriftsteller, der seinen Helden aus dem seelisch-politischen Konflikt in die einfache Mystik flüchten lässt? Das ist doch nicht der Horváth, den wir beispielsweise aus den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ kennen. Und das ist auch richtig so. Der Gott, der in „Jugend ohne Gott“ in Erscheinung tritt, ist nämlich, so die Worte eines im Buch auftauchenden Pfarrers, das „Allerschrecklichste“. Dieser Gott straft und will selbst von den Menschen gesucht und gefunden werden. Als der Protagonist diese Wahrheit Gottes erkennt, wird es uns klar, dass auch die Schüler das Allerschrecklichste sind. Und das ist auch der Lehrer selbst. Die eigene Schuld, den Trieb, die Lust am Zerstörerischen zu erkennen, um einem sich schuldig machenden System zu entkommen, ist die zentrale Aussage des Buches. Das gilt sowohl für die politische Dimension als auch für die psychische. In dieser Hinsicht ist Horváth eher dem triebhaften Symbolismus Freuds als der strafenden Rhetorik der Kirche verpflichtet.

Was das Thema des Romans, das um verbrecherische Verwicklungen eines autoritären Systems kreist, so spannend macht, sind auch seine Parallelen zu einem anderen Buch. Man könnte nämlich den Roman als eine intertextuelle Fortsetzung der „Verwirrungen des Zöglings Törleß“ lesen. Wenn bei Musil die militaristische Erziehung der alten österreichisch-ungarischen Monarchie aufs Korn genommen wird, ist es bei Horváth, der aus Österreich-Ungarn stammt, wahrscheinlich das NS-Deutschland, das durch das Prisma seiner pubertierenden Jugendlichen durchleuchtet wird. In beiden Romanen treffen Verbrechen und Mystik, Widerstand und das steife Gehorsam aufeinander. Die Geschichte, so zeigen die beiden Bücher, geht in die Gegenwart über, sie zieht immer weitere Kreise, die Banalität des Bösen scheint universell und erschreckend zu sein, sowohl in Österreich, als auch in Deutschland.
Trotz einer moralischen Prägung des Buches gelingt es dem Autor, Pathos zu vermeiden.

Der anonym bleibende Gymnasiallehrer hat Charme und Humor, manchmal ist  er zynisch, manchmal unsicher. Der Roman könnte ruhig als Drama gelten. So ist er auch geschrieben: Die Sätze sind kurz und prägnant, die Figuren scharf konturiert, als wären sie einem dunklen expressionistischen Gemälde entnommen. Expressionistisch oder vielleicht surreal wirkt das ganze Geschehen, so wie der Schriftsteller es am meisten gemocht hat. Klaus Mann schreibt in seinem Nachruf an Horváth: „Er liebte es, wunderliche und schreckliche Geschichten vorzutragen – Geschichten, in denen seltsame Krüppel oder groteske Unglücksfälle, komische, ausgefallene, fürchterliche Begebenheiten eine Rolle spielten.“. Eine Ironie des Schicksals scheint in diesem Fall der Tod des Ödön von Horváth zu sein. Der Autor ist 1938 auf skurille und unwahrscheinliche Art und Weise auf dem Champs-Elysées von einem Baum erschlagen worden.

Von Marta Wierzejska

Literaturangabe:

VON HORVATH, ÖDÖN: Jugend ohne Gott. Diogenes Verlag, Zürich 2009. 176 S., 6,90 €.

Weblink:

Diogenes Verlag


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