Männer und Frauen, zwei Seiten einer Medaille. Ohne die eine verliert die andere an Wert und doch steht jede Seite für sich und ist für die andere unerreichbar. Michael Stavarič analysiert in seinem neuen Roman „Böse Spiele“ die Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Stück für Stück seziert er die Beziehungsrituale zwischen Mann und Frau und schreckt nicht davor zurück, allerlei Klischees zu berühren. Stavarič versteht es, populistische Themen ins Licht zu rücken. Er macht weder Halt vor den Geschlechterrollen der Männer: „Wie sie doch sind, die Männer, dass sie verstohlen nach Hause schleichen mit schweißnassen Händen, dass sie ihre Frauen betrügen, dass sie ein schlechtes Beispiel abgeben, nirgendwo ankommen und darüber nie verzweifeln.“ Noch vor den Geschlechterrollen der Frauen: „Dass sie Kinder gebaren, die sie nicht wollten, dass sie ein Leben fristeten, das ihnen weder Freiheit noch Gleichheit bot.“ In seinem Roman arten Macht- bzw. Liebesspiele in Kriegsspiele aus und münden in eine Ära, in der es keine Männer und Frauen mehr auf der Erde gibt: „Dass bald niemand mehr Kinder zeugte und die meisten Menschen starben, dass einige wenige alt wurden und bis zuletzt einsam blieben, dass die Tiere schließlich das Land unter sich aufteilten.“
Der Schriftsteller Michael Stavarič wurde 1972 im tschechischen Brno geboren. Heute lebt und arbeitet er als freier Schriftsteller, Übersetzter, Kolumnist und Kritiker in Wien. Er studierte Bohemistik und Publizistikwissenschaften, arbeitete als Rezensent für „Die Presse“ und das Stadtmagazin „Falter“, war Executive Coordinator des Präsidenten des Internationalen P.E.N.-Klubs und Sekretär des Tschechischen Botschafters a.D. Jiří Gruša. Vor „Böse Spiele“ veröffentlichte er u.a. die Romane „Magma“ (2008), „Terminifera“ (2007) und „stilborn“ (2006), die Kinderbücher „Biebu“ (2008) und „Gaggalagu“(2006) sowie den Essay „Europa – Eine Litanei“ (2005). Michael Stavarič erhielt für seine Werke zahlreiche Preise und Stipendien.
In Stavarič’ Roman „Böse Spiele“ betreten Männer und Frauen das Spielfeld bzw. Schlachtfeld der Liebe und treten im wahrsten Sinne des Wortes gegeneinander an. In seinem Buch sind das ein Mann, der Ich-Erzähler und eine Frau, die er liebt, die aber mit einem anderen Mann (Robert) verheiratet ist und mit ihm ein Kind hat. Vervollständigt wird diese Dreiecksbeziehung durch die „andere Frau“. Diese liebt den Ich-Erzähler und würde alles für ihn tun. Um seine Geschichte zu erzählen, hat Stavarič eine besondere sprachliche Form gewählt. In seinem Roman reihen sich Dass- und Ob-Sätze ununterbrochen aneinander. In indirekter Rede – anhand zweier innerer Monologe, geführt von den beiden Frauenfiguren – wird das Bild des Ich-Erzählers erzeugt. Aus ihrer Sicht formt sich sein Charakter.
Das Buch beginnt mit einem Einstieg in die jahrelange geheime Beziehung des Ich-Erzählers und der verheirateten Frau. Diese verlangt ihm allerlei Kraft ab, bleibt sie doch für ihn unerfüllte Liebe: „Dass die Kerben mit den Jahren tiefer wurden (...), dass es besser dabei geblieben wäre, einander nicht zu fordern, dass man es gut und gerne dabei hätte belassen können: ‚Eingekesselt!’“ In dieser Zweierbeziehung hält die Frau die Zügel in der Hand und versteht es, den Ich-Erzähler im Stile „Zuckerbrot und Peitsche“ an sich zu binden.
Sadistisch fesselt sie den Mann mit seiner Liebe zu ihr über Jahre an sich. Deutlich wird dies an dem von Stavarič erschaffenen Bild einer ständig die Farbe wechselnden Plastikpalme. Dieses Bild lässt der Autor refrainartig immer wieder in seinem Text auftauchen. Immer dann, wenn es für seine zwei Figuren heißt, sich wieder voneinander zu verabschieden: „Am nächsten Tag stehen wir unter einer grünen [gelben][roten] Plastikpalme (...). Ob sie mich überhaupt jemals bittet: ‚Auf einen Sprung!’“ Leicht zu erraten, dass sie ihn niemals bittet. Warten zu Hause doch Ehemann und Kind.
Ihre Sachen packen, den Ehemann verlassen und eine Familie mit dem Ich-Erzähler gründen, stehen für die Frau nicht zur Debatte. Sogar dann nicht, als dieser anfängt, sie und ihr Kind zu schlagen: „Dass ich zunächst daran dachte, mein Kind zu nehmen, um zu dir zu fahren (...) Dass ich aber wieder meine Fassung gewann und zu überlegen begann, dass vielleicht alles meine Schuld sei (...). Dass ich mich gar nicht beklagen müsse, wo ich ihn doch betrogen habe, dass es mit mir von Grund auf nicht stimmt und mich der Schmerz vielleicht aufrüttelt.“
Stavarič greift mit diesem Portrait ein populäres Klischee heraus. Er karikiert ein tradiertes Frauenbild, bei der sich die Frau einerseits in die Rolle der Schuldigen fügt und die Ursache für unrechtes Verhalten des Mannes bei sich selbst sucht. Andererseits aber sieht sie sich auch nicht zur Aufgabe des Machtspiels bereit. Käme doch eine Abkehr vom Mann, ein Weglaufen, dem Verlieren der Schlacht, des Spiels gleich. Auf absurde Weise trotzt sie den Widrigkeiten und harrt aus: „Und ich blieb, wo ich war, und wurde älter und du hast gelacht über mich, dass du mich nicht wieder erkennst (...), dass du einer fremden Frau auf den Leim gegangen bist, die etwas Selbstachtung wahrt, dass sie an der Seite eines Mannes lebt, der sie langsam erstickt.“ Vervollständigt wird dieses abgeschmackte Frauenbild durch die Tatsache, dass die Ehefrau und Mutter scheinbar vor jedem Mann Angst hat bzw. Männer als überflüssige Last empfindet: „‚Ob ich überhaupt weiß, wie sehr sie allen Männern den Tod wünscht, nimm es nicht persönlich’, sagt sie. Dass keine Frau glücklich ist (und sie kennt eine Menge), dass eine Frau glücklicher wäre, wenn ihr kein Mann in die Quere käme, dass die Frauen Opfer bleiben und die Männer Täter.“
Gegenspielerin der langjährigen Geliebten ist die „andere Frau“. Sie verheißt dem Ich-Erzähler die Wendung zum (Liebes-)Glück. Diese Figur steht im völligen Gegensatz zu der verheirateten Frau und der Welt, in der sie und der Ich-Erzähler leben. Während er und seine Geliebte dem deprimierenden Stadtleben entspringen, erlebt man die „andere Frau“ als eine Art mystisches Land- und Waldwesen. Sie hat viele Brüder und Schwestern und lebt mit diesen und den Eltern fernab von der Stadt. Mit dieser Figur kreiert Stavarič ein ganz anderes Frauenbild. Mit ihr erschafft er einen Freigeist, eine Nomadin, die unglaubliche Weltreisen unternommen hat und Geschichten zu erzählen weiß. Eine Frau, die unabhängig lebt und sich nicht halbherzig und unvorsichtig an einen Mann bindet. Eine Frau, die sich genau überlegt, wem sie ihr Herz schenkt: „Und ob ich sie an der Hand nehmen will, dass sie es selten jemandem gestattet, weil ihr die Berührung eines Mannes Schmerzen bereitet.“ Wenn sie es aber tut, sich, ihrer Liebe und dem Mann alles abverlangt: „Ob ich überhaupt eine Ahnung davon habe, was es bedeutet, aufzuwachen mit einer Frau, die einem zugehört, die sich einem Mann fügt, nicht weil sie es muss, nein, aus freiem Willen, weil sie keinen anderen Mann haben will.“ „Die andere Frau weiß, dass auch andere Mütter schöne Töchter haben, sie sagt: ‚Lass sie gehen! Sei mein!’“ Sie fordert den Ich-Erzähler auf, mit ihr zu kommen, mit ihr zu leben.
Stavarič serviert in seinem Roman unverhohlen stereotype Charaktere. Er überzeichnet seine Figuren im Kontrast. Dabei tritt der Unterschied zwischen den Geschlechtern stets als Unvollkommenheit zu Tage und nie als Bereicherung. Frauen und Männer stehen sich als Feinde gegenüber, das wird klar, wenn der Autor schreibt, „dass sich Männer und Frauen überworfen haben, dass sie einander nur schwer ertragen und insgeheim dem anderen nach dem Leben trachten.“ Schließlich stehen sich ein Frauen- und ein Männerheer gegenüber, um gegeneinander in den Krieg zu ziehen. Am Ende des Buches verschwindet die eigentliche Geschichte der Figuren dann auch immer mehr hinter der großen, mythologisch angelegten Schlacht der Schlachten. Schade, denn was diese Mann-Frau-Apokalypse nun mit der ursprünglichen Geschichte zu tun hat, bleibt unklar. Vielmehr bläht der Autor seine Montage alter Epen, an die er, verwiesen sei auf das vorangehende Zitat aus Homers „Ilias“ im Buch anscheinend anknüpfen will, zu einem unnötigen hohen und holen Pathos auf.
Von Jennifer Riehn