Werbung

Werbung

Werbung

Kampf mit sich selbst

Roddy Doyles gelungenes Porträt der irischen Unterschicht

Von: STEFAN OTTO - © Die Berliner Literaturkritik, 08.05.09

Wenn sich eine gescheiterte Existenz wieder aufrappelt, dann kostet es Überwindung, auf die eigenen Trümmer zurückzublicken. Paula Spencer geht auf die 50 zu, als sie sich vom Alkohol lossagt und ihr Leben wieder in die Hand nimmt. Den Blick richtet sie dabei stets auf die einfachen Dinge des Alltags, verdient ihr Geld als Putzfrau, beginnt zu Hause wieder zu kochen und kämpft um das Vertrauen ihrer Kinder. Ihr Mann Charlo ist tot – das ist vielleicht besser so, denn der hat sie übel zusammengeschlagen. Der irische Autor Roddy Doyle heftet sich in seinem neuen Roman auf die Fersen einer Frau aus der tristen Dubliner Vorstadt.

Paula Spencer zieht Bilanz und lässt dabei keinen ihrer Abgründe aus. Zweifellos waren die prägend für ihre Kinder. Ihre Tochter Leanne erlebte sie komatös betrunken im Bett neben Erbrochenem; nun ist Leanne Anfang 20 und Paulas Sorgenkind: Sie lässt sich gehen, bricht sich den Fuß, schleppt sich dennoch auf Krücken zum Schnapsladen, wäscht sich nicht, nässt ins Bett – Doyles Realismus ist schmutzig und schonungslos – „Jesus Christus, sie ist genauso dumm wie ich“, denkt Paula, die sich selbst nicht entfliehen kann – weder auf der Arbeit noch zu Hause oder bei ihren beiden Schwestern, in deren Mitte sie sich latent ausgegrenzt fühlt. Dennoch sind sie neben den Kindern ihr familiärer Rückhalt.

Passagenweise verdrängen wortkarge und vom Misstrauen geprägte Dialoge ihre inneren Monologe und übernehmen den Rhythmus. Geantwortet wird ihr oft aus Höflichkeit, und doch gewinnen einzelne Worte an Bedeutung, wenn sie ein Entgegenkommen bedeuten und Hoffnung geben. Mit einer einfachen Sprache folgt Roddy Doyle seiner Protagonistin, deren Welt aus Gegensätzen und Widersprüchen besteht, auf Schritt und Tritt. Zwischen Zustimmung und Ablehnung liegt das Warten und die Zerrissenheit, aber auch eine Welt der Möglichkeiten – das ist der Raum für die Spannung in der Handlung.

Nachdem Roddy Doyle seine zuletzt erschienenen Romane „A Star Called Henry“ und „Oh, Play That Thing“ (deutsch: „Jazztime“) in den 1920er Jahren angesiedelt hat, widmet er sich mit „Paula Spencer“ wieder dem gegenwärtigen Leben in Irland und knüpft damit an seinen Roman „Paddy Clarke ha, ha, ha“ an, für den er 1994 den Booker Prize erhielt. Erneut schildert er einen Familienkonflikt und schafft es meisterhaft, in ein prekäres Milieu einzutauchen. Während Paddy Clarke schmerzhaft und in abstrus-komischen Situationen seiner Kindheit entwächst, verzichtet Doyle bei Paula Spencer auf einen solchen Humor. Wenn er den Blick auf die makellosen Porträts der Wahlplakate in den Straßen der Vorstädte richtet, dann liegen zwischen seiner Protagonistin und den Politikern Welten. Unzweifelhaft wirken die Plakate geheuchelt.

Es wäre eine unglaubwürdige Erfolgsstory, wenn Paula Spencers Neuanfang nicht von Rückfällen und Enttäuschungen begleitet wäre. Nicht immer bleibt sie standhaft, dafür aber biegsam – zum Beispiel wenn sie sich ungebildet fühlt, als sie über ihren jüngsten Sohn Jack mit dem Internet konfrontiert wird. Als er nach einer Lehrerbewertung bei RateMyTeachers.com vom Unterricht suspendiert wird, steht sie ihm als Mutter zur Seite. Darin sieht sie ihre Chance, bei dem halbwüchsigen Sohn neues Vertrauen zu gewinnen. Sie trotzt ihrem mangelnden Selbstvertrauen und setzt sich mit den Lehrern auseinander, was für sie ein Meilenstein ist – weil sie dabei erkennt, dass ihre Identität den Alkohol und die Schläge überdauert hat.

DOYLE, RODDY: Paula Spencer. Carl Hanser Verlag, München 2008. 302 S., 21,50 €.

Stefan Otto lebt und arbeitet als freier Journalist in Berlin


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: