Spektakuläre feindliche Übernahmen, undurchsichtige Börsengeschäfte Spendenaffäre, Schmiergeldzahlungen an hochrangige Politiker – beunruhigend aktuell nehmen sich die Unternehmensstrategien aus, auf die der so oft als beispielhaft gefeierte deutsche Unternehmer Friedrich Flick Erfolg und Wachstum seines Konzerns begründete.
„Weder Tradition noch politische Ambition, weder ordnungspolitische Prinzipien noch soziale oder ethische Verpflichtungen hinderten die Verfolgung der Konzernziele“, so heißt es im Fazit der jüngst erschienenen Studie zum Flick-Konzern von Kim Christian Priemel.
Um es gleich vorweg zu nehmen, Priemels Buch wird Maßstäbe setzen. Es gelingt ihm nicht nur eine seriöse und investigative Untersuchung der Unternehmensgeschichte; es sind vor allem die klugen Fragen an seinen Gegenstand, die dem Leser weitgehende Einsichten in die Grauzone der wechselseitigen Beziehungen von Wirtschaft und Politik im Kontext der unterschiedlichen politischen Systeme eröffnen.
Denn es waren immer wieder politische Großereignisse und seine engen Verbindungen zur politischen Führungselite, die Friedrich Flick die Chancen für einen aggressiven Expansionskurs seines Unternehmens boten und die er skrupellos ergriff. Priemel hebt diesen Zusammenhang für seinen Untersuchungszeitraum zwischen 1915 und 1955 als ein „elementares Moment der Wachstumsbeschleunigung“ in der Konzernentwicklung hervor, ohne jedoch der Eigendarstellung der Familie Flick aufzusitzen, es hätte sich um einen unaufhaltsamen und märchenhaften Aufstieg gehandelt. Gerade diese Nähe barg auch erhebliche Risiken für die Unternehmensautonomie, die den Konzern mehrere Male an den Rand des Ruins brachten. Als ein prominentes Beispiel sei hier nur die tiefe Verstrickung des Flick-Konzerns in die lukrative nationalsozialistische „Arisierungspolitik“ zwischen 1937-1945 erwähnt. Der erworbene ehemals jüdische Unternehmensbesitz wurde ihm nach 1945 nicht nur zum Verhängnis, weil er sich als Kriegsgewinnler vor dem Nürnberger Gerichtshof zu verantworten hatte, sondern auch, weil Flick diese Beteiligungen komplett verlor. Das schloss allerdings nicht aus, dass er in der Bundsrepublik - mit politischer und fiskalischer Rückendeckung – alsbald wieder Fuß fassen konnte und einen neuerlichen Aufstieg zum größten Einzelkonzern der westdeutschen Nachkriegsgeschichte schaffte.
Als einen systematisch kalkulierbaren “Systemopportunismus” bezeichnet Priemel diesen Zusammenhang, der aus der Sicht des Flick- Konzerns eine beträchtliche Risikoverminderung bei gleichzeitiger Wahrung eines Höchstmaßes an Kontrolle sicherte.
Um dieses Phänomen zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass Friedrich Flick von Beginn an eine andere Unternehmensstrategie verfolgte als seine unmittelbaren Konkurrenten, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Als Flick etwa 1915 auf der Bildfläche erschien, waren die Marktanteile in der Montanindustrie unter den Branchengrößen wie Thyssen oder Haniel vollständig aufgeteilt. Wachstum war mithin nur durch die Aufkäufe und Kombination bereits entwickelter Unternehmen möglich, die neu auf den Markt ausgerichtet oder wieder abgestoßen wurden. Um diese Aufkäufe zu sichern und zu finanzieren, verlegte sich Friedrich Flick zusätzlich und ganz systematisch auf strukturschwache oder politisch sensible Regionen, – in der Weimarer Republik etwa auf das hochbrisante oberschlesische Kohlenrevier – um staatliche Finanzspritzen zu erhalten. Flick hatte dabei ein gutes Gespür für Informationen, ihre Brisanz und über die Form, sie zu lancieren - ohne dabei konzerneigene Details auch nur annähernd preiszugeben. Bei der bloßen Androhung staatlicher Akteure, die Unterstützungen zu verringern oder gar einzustellen, konnte Flick so mit der Aufdeckung der politisch heiklen Schattengeschäfte drohen. Doch nicht nur das – Fehler im Management, zu hohe Selbstkosten oder andere durch den Konzern selbst verschuldete kostenintensive Fehlleistungen konnten so ebenfalls auf staatliche Akteure abgewälzt werden, die wohl oder übel zahlten oder sich gezwungen sahen, zu zahlen.
Auch hier sind Parallelen zur heutigen Situation augenfällig, wenn man sich etwa den politischen Aufruhr über die Schließung des Bochumer Nokiawerkes vergegenwärtigt.
Eine historische Tatsache ist, dass sich Friedrich Flick offenbar wie kein Zweiter auf diese Taktik verstand, denn Priemel kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass es der Firmengründer und langjährige Konzernchef selbst war, der über fünfzig Jahre hinweg die wichtigsten Entscheidungen traf, Verhandlungen tätigte und dieses dichte Netz von Lobbyisten mit seiner ausgedehnten Spendenpraxis für den Konzern knüpfte. Und so mutet es fast als logische Konsequenz an, dass seine fehlgeleitete Familienplanung zur Übergabe des Konzerns an seine Erben, Abstieg und die endgültige Konzernauflösung in den 1970er Jahren besiegelten.
Aus diesem Grunde liest sich das Buch gleichsam wie eine Biografie des Unternehmers Flick, der wie kaum ein Anderer für den Konzern steht. Was die eingangs gestellte Frage angeht, ob eine solche Strategie des Instrumentalisierens als taktisch klug im Sinne des unternehmerischen Erfolges oder als besonders verwerflich im moralischen Sinne zu bewerten ist, lässt sich wohl immer nur aufs Neue stellen und kontextuell beantworten. Kim Priemels Buch ist ein außergewöhnliches Lehrbeispiel dafür, wie viele Faktoren zu bedenken sind und welch erheblichen Einfluss die politische Großwetterlage darauf nimmt, welchen Wirkungsbereich Unternehmer ausfüllen.
Eindeutig ist, dass sich Friedrich Flick auch bei strafrechtlich relevanten Vergehen nur sehr selten persönlich zu verantworten hatte – wie viele andere auch.
Von Ulrike Schulz
Literaturangaben:
PRIEMEL, KIM CHRISTIAN: Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 864 S., 48 €.
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