BERLIN (BLK) – Die „FAZ“ bespricht Karl Ove Knausgårds Roman „Alles hat seine Zeit“, und die „FR“ widmet sich Marcel Beyers „Kaltenburg“. Die „NZZ“ berichtet über den Bildband „Eastmodern“, während die „SZ“ Jan Philipp Reemtsmas Studie „Vertrauen und Gewalt“ rezensiert.
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Die Edition des Briefwechsels zwischen Catherine Pozzi (1884-1934) und Paul Valéry (1871-1945), die nun von Lawrence Joseph unter dem Titel „La flamme et la cendre“ herausgegeben wurde, dokumentiere „ein unvergleichliches Ereignis in der Geschichte der Liebe“, meldet die „FAZ“. Nach einem zufälligen Treffen im Jahre 1920 gerieten die beiden in „einen Dialog der denkenden Liebe, des liebenden Denkens“, der knapp acht Jahre lang anhielt, schreibt der Rezensent. Dabei sei es „schwer zu entscheiden, wer von beiden den anderen schärfer erkannt und beschrieben“ habe. Im Vollzug des Testaments von Catherine Pozzi sei der Großteil der Korrespondenz (weit über 1000 Briefe) verbrannt worden, und so ließe sich hinter dem nun erschienenen „Restbestand“ ein „Meisterwerk“ vermuten, das aber nicht konkret vor Augen geführt werde.
Vom „Selbstverrat des Geistes, der dem Leben verfällt“, erzähle Karl Ove Knausgårds Roman „Alles hat sein Zeit“, berichtet die „FAZ“. Der „farbenprächtige, barock verschlungene“ Roman verarbeite Motive und Figuren des Alten Testaments und wage sich so an die ältesten Fragen nach Sinn und Beschaffenheit des Lebens und der Welt heran. Bei all dem Ballast wirke das gewaltige Epos „nicht überfrachtet“: Die schwebende Leichtigkeit“ mit der so viel „Gedankentiefe“ erreicht werde, sei Indiz für das „außergewöhnliche Talent“ des norwegischen Autors. Mit seiner entschlossenen und präzisen Prosa, die von „berückendem sprachlichen Glanz und überwältigender poetischer Dichte“ sei, sichere sich Knausgård endgültig seinen Platz in der „Liga der großen Erzähler der Gegenwart“, meint Rezensentin Andrea Neuhaus.
Die „FAZ“ berichtet, nachdem man Sonia Simmenauers Sachbuch „Muss es sein?“ gelesen habe, verfolge einen „Tag und Nacht“ die Frage: „Ist mein Leben um einen Glutkern herum gebaut, oder ist es ein Drehen und Wenden in kalter Asche?“ Das „gefährlichste und bezauberndste Sachbuch dieses Frühjahrs“ beschreibe das Leben in einem Streichquartett: die gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisse, das Finden des eigenen Tons, den Unterschied zwischen mechanischer und beseelter Aufführung. Das Musikerdasein sei eine „exemplarische Lebensform“, die als Chiffre für „erfülltes Dasein schlechthin“ diene. Die Autorin begnüge sich in dem schmalen Band damit, „Dinge anklingen zu lassen“ – das Buch trete so niemandem zu nahe und greife doch „wie ein Schwungrad in die Seele hinein“.
„Atemberaubend“ sei der Anspruch, den der Wissenschaftshistoriker Ohad Parnes und die Literaturwissenschaftler Ulrike Vedder und Stefan Willer an ihr gemeinsames Werk „Das Konzept der Generation“ gerichtet haben, schreibt die „FAZ“. Darin versuchten die Autoren, „eine Art Landkarte“ für den bemerkenswert vieldeutigen Begriff der Generation zu erstellen, wobei sowohl soziologische, geschichtsphilosophische und etymologische als auch kultur- und literaturwissenschaftliche Gesichtspunkte einbezogen würden. Die transdisziplinäre Konzeptgeschichte zeige „Staunenswertes“, es werde in der Analyse aber „so wenig festgelegt, dass es bei einem Panorama der Querverbindungen“ bliebe.
„In eine skurrile Welt“ entführe die neue Erzählsammlung von Herbert Rosendorfer mit dem Titel „Monolog in Schwarz und andere dunkle Erzählungen“, berichtet die „FAZ“. Die Geschichten nährten sich „liebevoll der Stammtischkultur“ und erfassten „in üppigen, bissig-trockenen, phrasenhaften Alltagsdialogen“ das Leiden normaler Menschen und deren kuriosen Handlungen. Der Autor führe pointenreich und „mit feinem Hintersinn“ das aus, „was sich manch einer nur im Geheimen wünscht“.
Eine „Mischung aus Zärtlichkeit und Wucht“ ziehe sich durch Wystan Hugh Audens (1907-1973) Gedichte, die in einer zweisprachigen Ausgabe unter dem Titel „Liebesgedichte“ vereint werden, meldet die „FAZ“. Leider sei die Auswahl der Gedichte ein wenig schmal ausgefallen und Probleme in der Übersetzung machten sich dort bemerkbar, wo der Reim ins Spiel käme. Die „Entscheidung zwischen Sinn und Form“ gelinge den Übersetzern an diesen Stellen mit „mal mehr, mal weniger Glück“.
„Frankfurter Rundschau“
Katrin Hillgruber bespricht in der „FR“ Marcel Beyers Roman „Kaltenburg“. Der Protagonist Hermann Funk gerate in den dreißiger Jahren in den Bann eines Herrn Kaltenburg, der der historischen Figur des Verhaltensforschers Konrad Lorenz (1903-1989) entlehnt ist. Zögernd erzähle Funk rückblickend „Episoden aus seinem Leben“, darunter beispielsweise eine „erschütternd realistische Szene“ des Bombenangriffs auf Dresden 1945. Das Buch gleite „ruhig bis resignativ“ dahin, und „aller stilistischen Verführungskunst“ zum Trotz fehle die „kriminalistische Spannung“ die der „Beobachtungsvirtuose“ Beyer in seinen früheren Werken erzeugte. Außerdem komme der Erzähldiskurs „allzu massiv“ daher.
„Neue Zürcher Zeitung“
Anlässlich des 80. Geburtstags der italienischen Architekturzeitschrift „Domus“ erscheint im Taschen Verlag ein „Nachdruck von Highlights“, wie Gabriele Detterer für die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) schreibt. Unter dem Titel „Domus 1928-1999“ erscheinen insgesamt zwölf Bände, herausgegeben von Charlotte und Peter Fiell. Der italienische Architekt Gio Ponti (1891-1979), Gründer der Zeitschrift, habe „unentwegt am Erfolg des Fachmagazins“ gearbeitet, welches in den siebziger Jahren „Inbegriff für zeitgeistige Behaustheit und für Design ‚made in italy’“ gewesen sei, teilt Detterer weiter mit. Zu Ehren Pontis erscheine die Jubiläumsausgabe (Nr. 911), die den „jugendlichen Charakter des stilprägenden Zeitschriftenklassikers“ einmal mehr bekräftigen solle.
Den Bildband „Eastmodern“, herausgegeben von Hertha Hurnaus, Benjamin Konrad und Maik Novotny, bespricht Patricia Grzonka in der „NZZ“. „Herausragend“ beurteilt die Rezensentin das Werk mit ausgewählten Bildern von Bauwerken der Slowakei der 1960er und 1970er Jahre. Die Herausgeber haben sich auf landesweite Recherche begeben und Objekte, die „abseits der tristen Plattenbauten der kommunistischen Ära“ entstanden seien, mit „unpathetische Aufnahmen dokumentiert“. „Visionäre Architektur“, schreibt Grzonka.
„Süddeutsche Zeitung“
Jan Philipp Reemtsmas Studie „Vertrauen und Gewalt“ sei ein „ehrgeiziges Unternehmen“, schreibt Jens Bisky für die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“). Bisky hält es für geglückt, da Reemtsma eine „kühne Mischung von soziologischer Begriffsbildung und literaturwissenschaftlicher Deutungskunst“ gefunden habe. Der Autor unternehme einen Streifzug durch die vergangenen Jahrhunderte und beleuchte die Frage, wie die Gesellschaften mit Gewalt und Vertrauen – zum Beispiel in den Staat – umgehen, auf eine neue Weise. Reemtsma inszeniere in seinem Buch ein Gespräch mit dem Leser und versuche, die richtigen Fragen zu finden.
Eine „tragikomische Verfolgungsjagd“ findet Rezensentin Kristina Maidt-Zinke in Feridun Zaimoglus neuem Roman „Liebesbrand“. Zaimoglu erzähle die „Geschichte einer Liebesbesessenheit“ – ein Mann will eine Frau nach einer zu kurzen Begegnung wieder finden – mit einer Dramaturgie „voller Hakenschläge, Verzögerungen und Abschweifungen“. Der Schriftsteller beschreibe die Geschichte in einem „unangestrengt wiederbelebten Ton der Romantik“ und habe einen Erzählfluss, der „etwas erfrischend Ungebändigtes, Anarchisches“ hat, urteilt Maidt-Zinke.
Lars Gustafssons Verserzählung „Die Sonntage des amerikanischen Mädchens“ geht laut Kritiker Andreas Dorschel von einem wirklichen Verbrechen aus: Eine junge Frau wurde umgebracht. Diesem Mädchen versuche der Autor in seinem Buch, eine Stimme zu geben. „Eine prekäre Idee“, findet Dorschel, zumal die Stimme niemals die der Frau sein könne. Gustafsson scheue davor zurück, „Individualität zu fingieren“, da er skeptisch sei, die Schwere der Tat überhaupt in Worte kleiden zu können. Dorschel findet, der Schriftsteller sei „dank des Verbrechens“ um einen literarischen Stoff reicher, gebe der Frau jedoch keine Stimme. (mar/win/wip)
Literaturangaben:
AUDEN, WYSTAN H.: Liebesgedichte. Aus dem Englischen von Hans Egon Holthusen, Ernst Jandl, Hilde Spiel u.a. Herausgegeben von Rüdiger Görner. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 122 S., 5 €.
BEYER, MARCEL: Kaltenburg. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 394 S., 19,80 €.
FIELL, CHARLOTTE / FIELL, PETER (Hrsg.): Domus 1928-1999. Taschen Verlag, Köln 2007. 12 Bände. 6960 S., 500 €.
GUSTAFSSON, LARS: Die Sonntage des amerikanischen Mädchens. Eine Verserzählung. Aus dem Schwedischen übersetzt von Verena Reichel. Carl Hanser Verlag, München 2008. 94 S., 14,90 €.
HURNAUS, HERTHA / KONRAD, BENJAMIN / NOVOTNY, MARK (Hrsg.): Eastmodern. Architecture and Design of the 1960s and 1970s in Slovakia. Springer-Verlag, Wien 2007. 240 S., 37,40 €.
KNAUSGÅRD, KARL OVE: Alles hat seine Zeit. Aus dem Norwegischen übersetzt von Paul Berf. Luchterhand Literaturverlag, München 2007. 640 S., gebunden, 21,95 €.
PARNES, OHAD / VEDDER, ULRIKE / WILLER, STEFAN: Das Konzept der Generation. Eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 395 S., 14 €.
POZZI, CATHERINE / VALÉRY, PAUL: La flame et la cendre. Correspondance. Herausgegeben von Lawrence Joseph. Gallimard, Paris 2007. 708 S., 32 €.
REEMTSMA, JAN PHILIPP: Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne. Hamburger Edition, Hamburg 2008. 576 S., 30 €.
ROSENDORFER, HERBERT: Monolog in Schwarz und andere dunkle Erzählungen. Langen-Müller Verlag, München 2007. 224 S., gebunden, 17,90 €.
SIMMENAUER, SONIA: Muss es sein? Leben im Quartett. Berenberg Verlag, Berlin 2008. 133 S., geb., 19 €.
ZAIMOGLU, FERIDUN: Liebesbrand. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 375 S., 19,95 €.
Presseschau vom 7. März 2008
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