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„Kein Satz blieb so, wie er war“

Übersetzungen sind eine diffizile Angelegenheit

© Die Berliner Literaturkritik, 11.08.09

FRANKFURT/MAIN (BLK) - Reinhard Kaiser hat viele Bücher aus dem Englischen und Französischen ins Deutsche übersetzt. Jetzt hat er den „Simplicissimus“ aus dem Neuhochdeutschen ins heutige Deutsch übertragen. Wie er dabei vorging, erläutert er im dpa-Interview:

Was haben Sie alles am Original verändert?

Da ist kein Satz geblieben wie er war – auch wenn nicht jedes Wort verändert werden musste. Manche Wörter gibt es aber heute nicht mehr, die mussten durch andere Vokabeln ersetzt werden. Andere Worte kennen wir sehr gut, aber ihre Bedeutung hat sich verschoben. „Freundschaft“ bedeutete zum Beispiel bei Grimmelshausen nicht das abstrakte Freundschaftsverhältnis unter Menschen, wie wir es heute verstehen, sondern der „Kreis der Freunde“. Daneben gibt es Umständlichkeiten und Merkwürdigkeiten grammatikalischer Art. Zum Beispiel hieß es damals „der Luft“ – Luft war noch Maskulinum.

Was ging durch die Übersetzung verloren?

Eine Übersetzung geht nie ohne Unkosten ab. Die wunderschöne barocke Sprache wurde durch ein gegenwärtiges Deutsch ersetzt. Aber darunter ist eine unglaubliche Vielfalt an Geschichten, Erzählperspektiven und Erzähltechniken zum Vorschein gekommen. Grimmelshausen liebt ja das Motiv der verkehrten Welt. Manchmal haben die Tiere mehr Recht als die Menschen und der Narr ist vernünftiger als die Menschen, die ihn für einen Narren halten. Selbst die größten Unholde können Dinge sagen, die einfach wahr sind. Es gibt keine Seite im Buch, die langweilig ist – selbst die langatmig anmutenden religiös-introvertierten Selbstbetrachtungen.

Haben Sie auch Kürzungen vorgenommen, wie es bei Grimmelshausen-Editionen früher oft üblich war?

Früher wurde nicht selten alles von 700 auf 200 Seiten kondensiert. Der Roman wurde für die Jugend zurechtgestutzt, anstößige Stellen wurden herausgenommen. Übersetzen ist einerseits eine brutale Operation, weil sie das sprachliche Material umwälzt. Aber auf der anderen Seite hält sie dem Werk auch die Treue. Ich bin an den Text herangegangen wie ich es bei einem englischen oder französischen Text tun würde. Man übersetzt wirklich Satz für Satz, ohne zu kürzen. Und man versucht, immer den Ton zu treffen. Wo unanständige Worte bei Grimmelshausen stehen, da stehen bei mir auch unanständige. Manchmal auch dieselben.

Interview: Thomas Maier

 

Hintergrund: Simplicissimus Teutsch und heutiges Deutsch

Das „Simplicissimus Teutsch“ des 17. Jahrhunderts unterscheidet sich sehr wesentlich vom heutigen Deutsch. Einige Beispiele:

Simplicissimus Teutsch:           Bedeutung im heutigen Deutsch:

das Gegenteil                              die gegnerische Armee, der Feind, der Gegner

das Widerspiel                            das Gegenteil

vergeben                                     vergiften

Interesse                                     Zinsen

das Gewehr                                die Waffen überhaupt, Bewaffnung, Ausrüstung

die Freundschaft                       der Kreis der Freunde

Schelm                                        nicht: harmloser Spaßmacher, sondern: Spitzbube, davor
                                                     auch noch: Knochen, Henker, Räuber ...


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