SCHROETER, WERNER: „Tage im Dämmer, Nächte im Rausch – Autobiografie“. Aufbau Verlag, Berlin 2011. 228 S., 22,95€.
Von Stephanie Schick
Dünn und düster-lustig durchschritt Werner Schroeter jahrelang die Film- und Theaterwelt.
Die Emotionsopern aus dem Leben, frei nach Oscar Wilde und Arthur Rimbaud, böten den Stoff seiner Melodramen, dabei paarten sich höchste Kunst und surrealer Kitsch. So schildert es Schroeter in seiner Autobiografie und in den verschiedensten Facetten. Sehr schnell fließen die Anekdoten ineinander. Er, der Filmemacher, der sich jeglichen Abenteuern aussetzte und gar nicht früh genug von zu Hause wegziehen konnte, saugte aus allem Inspiration. Dabei beschreibt sich Schroeter als planlosen Jungen, der nichts mit sich anzufangen wusste. Aus Langeweile und voll Lebenslust fährt er nach Ludwigshafen, um sich im Strichermilieu herumzutreiben. Studieren fand er sinnlos, da man sich Bücherwissen auch selbst aneignen könne. Konsequenterweise verwarf Schroeter sein Medizinstudium, verließ die Filmschule und arbeitete ausschließlich autodidaktisch. Lieber sprach er die Sprachen, die ihm gefielen, bald fließend, und lernte nur das, was ihn unmittelbar weiterführte. So wirkt Schroeters Leben in der Rückschau seltsam zielstrebig und seine anfängliche Planlosigkeit verwunderlich.
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Dass aber gerade jene Planlosigkeit als Motor dem turbulenten Leben dienlich war, wird bald deutlich. Mit fortschreitender Lektüre verblassen selbst die existentiellsten Gegensätze und man versteht plötzlich, wie Schroeter auch als Homosexueller Frauen schwängern konnte. Ganz selbstverständlich mündet da Agonie in unbändigen Lebenswillen und stetes Durcheinander sowie personifiziertes Chaos sprudeln als unerschöpflicher Quell.
In Werner Schroeter vereinen sich Glamour und Punk, Ästhetik und Abscheu, Kunst und Kitsch. Deutlich wird dies, wenn er von seiner unsterblichen Liebe zur Operndiva Maria Callas spricht und fast ebenbürtig die Schlagerhits Caterina Valentes rühmt. Außerdem verkehrte Schroeter gleichermaßen mit hochrangigen Kunstschaffenden und kleptomanischen, mexikanischen Stricherjungen.
Weggenossen wie Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder zählten zu seinen Freunden. Wie sie umgab auch Schroeter eine Schauspielerentourage, deren Zusammensetzung über Jahre beständig blieb. Zu dieser „Theaterfamilie“, wie er sie liebevoll nannte, gehörten unter anderem Tamara Kafka, Magdalena Montezuma und Ingrid Caven. Obwohl Schroeter meistens über sehr wenig Budget verfügte oder das Wenige bald verschleuderte, entstanden kongeniale Filme. Sie überzeugten weniger in ihrer aufwendigen Inszenierung als vielmehr durch Ideenreichtum und wahnwitzige Kunstgemische, die Opereskes ins Fernsehprogramm holten und wie Krimis mit Stummfilmvergangenheit aussahen. Zuweilen erinnert diese Art der Kunst an Andy Warhol, der ebenfalls als ein Meister des „Niveaukitsches“ galt und Glamour mit Trash verband. Eine Tunte am Theater, ein extremer Exzentriker, der von Eingeweihten und Cineasten hochgelobt, aber von der breiten Masse bestenfalls verkannt wurde.
Werner Schroeter bezeichnete seine Art des Filmschaffens und seine Lebensart oft als „Punk“. Leider lässt nun gerade das literarische Vermächtnis Schroeters Punknote vermissen. Zu gerade wirkt die Erzählweise, zu schlank der Schreibstil. Zwar erzählt Schroeter in rasantem Tempo und kramt nach wilden Sexstorys, doch wer die Zeit des schönen Italiens in den Sechzigern verpasst hat und auch jene Schauspielerentourage nicht mehr kennt, den langweilt die schnöde Aneinanderreihung von Erinnerungen. Da können auch Einsprengsel mit Berliner Dialekt nicht weiterhelfen.
Das Genie Schroeter hat durch seine Filme zu uns gesprochen!
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