Von Ulrich Fischer
RECKLINGHAUSEN (BLK) - Bernd Getskard ist eine Nervensäge. Obwohl er mitunter himmelhoch jauchzt, dann wieder zu Tode betrübt ist, halten seine Freunde zu ihm. Sie meinen, er sei ein Jahrhundertgenie. Getskard steht im Mittelpunkt des Theaterstücks „Wenn ihr euch totschlagt ist es ein Versehen“ von Oliver Bukowski. Und je länger Bukowskis elf Szenen dauern, desto klarer wird, dass Getskard nicht nur schwer krank ist, manisch-depressiv, sondern einem preußischen Junker aus dem 19. Jahrhundert ähnelt.
Die Ruhrfestspiele haben in diesem Jahr als Motto „Kontinent Kleist im romantischen Meer“ gewählt. Bukowski wurde gemeinsam mit dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg beauftragt, ein Stück dafür zu schreiben. Also liegt es nahe, in der Kunstfigur einen genialen aber verkannten Dichter, einen Heinrich von Kleist in unserer Zeit zu erkennen. Bukowski, ein renommierter Fachmann für Volksstücke, hat eine Farce geschrieben, die das Publikum bei der Uraufführung am Montagabend (24.5.) im Theaterzelt neben dem Festspielhaus mit langem, einhelligem Beifall begrüßte.
Dabei verstößt Bukowski lustvoll gegen Grundsätze des Taktgefühls, etwa dass man nicht über Kranke lacht. Der Dramatiker entdeckt, dass Kleists manische Stimmungsschwankungen, mögen sie im Leben tragisch gewesen sein, auf der Bühne komisch wirken ein Quell seines Witzes. Getskards Verkennungen der Realität bringen seine Freunde an den Rand der Verzweiflung, sie befähigen den Dichter aber zu einem geistigen Aufschwung, der ihn unnachahmlich macht. Kleist scheiterte seinerzeit am Alltag, war aber zu Hause in den elysischen Gefilden.
Regisseur Markus Heinzelmann arbeitet in seiner Inszenierung mit nur drei Darstellern - Stefan Haschke, Marco Albrecht und Lydia Stäubli - konsequent das Typische der Farce heraus. Die Körpersprache Getskards ähnelt mal der von Pop-Idolen bei Massenkonzerten, mal der eines Clowns in der Manege.
In einer Schlüsselszene rechnet Bukowski mit dem Theater und der heutigen Kritik ab. Auch zu Kleists Lebzeiten (1777-1811) waren weder Regisseur noch Kritiker in der Lage, den Rang des „Zerbrochnen Krugs“ zu erkennen - heute als Klassiker unumstritten. Getskard klagt, wie seine Stücke im Theater „misshandelt“ werden und dass die zeitgenössische Kritik, wie einst bei Kleist, auch bei ihm nicht in der Lage sei, den Wert seines Dramenschaffens angemessen zu würdigen.
Am Ende steht der Freitod Getskards. Haschke spielt komisch, gleich darauf tief tragisch die Figur Geskard, der immer mehr Kleist ähnelt. Kleist ging 1811 in der Nähe des Wannsees in den Tod. Wie aber ist es möglich, eine Komödie zu schreiben, wenn am Ende der Tod steht? Bukowski weist geistreich darauf hin, dass Kleist nicht tot ist, sondern unsterblich.
In Bukowskis Stück stimmt die Form, inhaltlich durchdringen sich kunstvoll Gegenwart und Vergangenheit, und die große Frage wird aufgeworfen, woher der Funke des Genies kommt.
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Theaterzelt, Otto-Burrmeister-Allee 1, 45657 Recklinghausen