Von Thomas Borchert
OSLO (BLK) - Auch zu seinem 150. Geburtstag scheidet Knut Hamsun als genialer Erneuerer der Literatur und bis zuletzt unverbesserlicher Hitler-Anhänger die Geister. „Man sollte zwei Gedanken auf einmal denken dürfen und zwischen Literatur und Mensch unterscheiden“, verteidigte Königin Sonja mit royaler Süffisanz die aktive Mitwirkung des Osloer Hofes am Hamsun-Jahr. Als „Skandal“ kritisierte das unter anderem Baruch Tenembaum von der internationalen Raoul-Wallenberg-Stiftung. Er schrieb der Ehefrau König Haralds einen Protestbrief. Seine Begründung: „Es gab ja viele Genies, die auch Nazis waren. Ich hab aber von keinem gehört, dem jetzt Staatsoberhäupter huldigen.“
So ähnlich verlaufen in Norwegen auch die Fronten, wenn zum 150. Geburtstag am 4. August nördlich des Polarkreises in Hamarøy ein „Hamsun-Zentrum“ mit einem von Steven Holl spektakulär entworfenen Turm eröffnet wird. Hier hatte der Dichter nach dem internationalen Durchbruch mit seinen für die literarische Moderne bahnbrechenden Romanen „Hunger“ (1890) und „Pan“ (1894) einige Jahre gelebt.
Auch sein späterer Wohnort Grimstad im Süden Norwegens ehrt den Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1920 zum ersten Mal seit Kriegsende wieder mit einem nach ihm benannten Platz und einem Denkmal. Empörte Bürger gaben ihren Kommentar ab, indem sie das Hamsun-Denkmal mit einer Hakenkreuz-Flagge versahen.
Wie praktisch alle Norweger nach dem Krieg haben sie in der Schule die literarische Urkraft von „Hunger“ mit einem bettelarm und namenlos durch Oslo irrenden Künstler kennengelernt. Stärker im Gedächtnis haften geblieben ist den Kritikern aber wohl, was Hamsun nach dem Selbstmord Hitlers in einem Zeitungs-Nachruf am 7. Mai 1945 schrieb: „Er war ein Kämpfer für die Menschheit und ein Verkünder der Botschaft vom Recht für alle Nationen. Er war eine reformatorische Gestalt von höchstem Rang.“
Hamsun schickte seine Nobelmedaille aus Protest gegen den Friedensnobelpreis für den von den Nazis eingekerkerten und am Ende zu Tode gequälten Pazifisten Carl von Ossietzky an Hitlers Propagandachef Joseph Goebbels. Das war die eine Seite, die ihm nach der Befreiung auch die Verurteilung als Landesverräter einbrachte. Das Urteil wurde in dem Gerichtsgebäude in Grimstad verkündet, dessen Vorplatz nun zum 150. Geburtstag in Hamsun-Platz umbenannt wird.
Die Verteidiger dieser Ehrungen führen die grenzenlose literarische Verehrung für Hamsun durch politisch so unverdächtige Kollegen wie Thomas Mann, James Joyce, Ishaac Bashevis Singer und, mit jüngerem Datum, auch Paul Auster ins Feld. Die Bücher des Norwegers hätten ja nie und nimmer „Nazi-Inhalt“ gehabt, heißt es immer wieder. Bis zu seinem Tod 1952, verfemt, vereinsamt und verarmt, hat sich Knut Hamsun nie von seiner früheren Begeisterung für Hitler und die Nationalsozialisten distanziert oder gar Reue bekundet.