Spätestens seit Charlotte Roches literarischer „sexueller Revolution“ sind Geschlecht und Körper wieder in aller Munde. Während die einen die Enttabuisierung des Themas preisen, sehen die anderen in der Talk-About-Sex-Welle ein jugend- und gesellschaftszersetzendes Unheil. Da kommt ein Buch, das es sich zur Aufgabe erklärt, den Sinn und Unsinn, sprich die Vor- und Nachteile pornographischer Darstellungsweise zu erörtern, doch gerade passend – könnte man meinen!
Man stelle sich diesbezüglich nur einmal die aberwitzige Situation vor, man befände sich in einem vornehmen Cafehaus, in dem zwei ältere, belesene Herren ihrer philosophischen Diskussionsleidenschaft frönten und intellektuell die gesellschaftlich-kulturellen Ausprägungen der „Zurschaustellung oder unvermittelte Nachahmung geschlechtlicher Werkzeuge und ihrer Taten zu nichtmedizinischen Zwecken“, also Pornographie, erörterten. Die thematische und personelle Konstellation könnte zu Recht einen komischen Effekt erzeugen, was sich auch Peter Hacks beim Verfassen seines Buches gedacht haben muss.
Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Der Anspruch der Satire geht durch den zu elitären Sprachausdruck nahezu gänzlich verloren. Witzig und komisch erscheint lediglich die Ausgangslage, welche jedoch im Verlauf der abgehobenen Metadiskussion der beiden Diskutanten stets an Reiz und Bindungskraft verliert. Obwohl die geistreiche Sprache anmuten soll, entwirft sie das Bild überholter Archaismen und weltfremder, zutiefst trockener Luftschlösser. Denn Formulierungen wie „Ausgezeichneter Adelbert“ sind sogar jenseits geltender Sprachkonvention zu Zeiten des aufkommenden Sozialismus, in dem die Gesprächsabhandlung spielt. Sie sind schlichtweg nichts als biedere Versuche, Komik mittels verfremdeter Redegestaltung hervorzurufen.
Wer einen satirischen Text literarisch wirkungsvoll in Szene setzen möchte, braucht mehr als noch so philosophisch klingende Worthülsen und zweier verschrobener Greise, die im luftleeren Raum dahintheoretisieren. Das Buch hätte die besten Chancen gehabt. Sex ist gegenwärtig die Nummer eins der medialen Menschenvorführung. Insbesondere jetzt wäre eine erotische Alternative in Literatur, die weder Roche noch Big Brother nacheifert von Nöten gewesen. Jedoch ist der Text hinsichtlich der Erwartungen, dass er zu einer neuen kulturellen Perspektive der Verarbeitung des Erotischen beitragen könnte, weit gefehlt.
Um dem Text aber dennoch gerecht zu werden, wäre es unzureichend, die wohl überlegten, zweifellos stichhaltigen Gedankengänge der beiden Gesprächskontrahenten von der Wucht der Kritik zu erdrücken. Keineswegs ziellos erscheinen nämlich Fragen, ob die „ästhetische Erscheinungsform von Sauereien, die Pornographie“ nun zum Gegenstandsbereich der Künste gezählt werden oder ob beispielsweise Pornographie überhaupt einen sexualevolutionären Sinn haben könnte. Ist sie bei der Entwicklung von Sexualität eher fördernd oder vielmehr hinderlich? Verhindert sie nicht gerade künstlerische Wahlfreiheit, indem sie uns zu quasi ästhetischen Sklaven der Lust macht?
Nicht zuletzt die Argumentationskette kann den theoriebegeisterten Leser trotz des hölzernen Sprachduktus der Diskussion ansprechen. Aber klar ist eben, dass ein Buch, welches in seiner Titelwahl sogar auf den großen Literaten Goethe zurückgreift (aus Wilhelm Meisters Wanderjahre) eine eindeutige belletristische Ambition hegt. Zwar ist keine Gattung angegeben, als welche das Werk gelesen werden möchte. Aber die Darbietung als Konversation ist aussagekräftig genug. Ein kluger Lektor hätte hier wohl eher das Essay empfehlen solle, da ein Theoretiker im Laden vor dem Hintergrund der äußeren Beschaffenheit de Buches hierbei wohl kaum ernsthaft zugreifen würde. Schade um den klugen Gedankengang, der aufgrund der Gattungswahl sicherlich am adäquaten Zielpublikum vorbeigeht.
Obwohl das Ende der Auseinandersetzung mit dem Auftreten Corinnes als einigende Kraft zwischen den Kontrapositionen mit der grotesken Wendung, dass sie mit beiden Feingeistern in die Kiste steigt, für Überraschung sorgt, kann das den Gesamtverlauf der „Handlung“ nicht kompensieren. Die Komposition ist in sich schlichtweg zu langweilig. Denn ws den Aufbau des Textes anbelangt, so ist die Missachtung der Psychologie des Lesers der klarste Indikator für den Fehlgriff. Es versteht sich von selbst, dass, wenn in diesem Kontext von Psychologie gesprochen wird, nur ein äußerst pauschales Urteil möglich ist. Aber sollte man ein Buch evorzugen, dessen Gegenstand die Pornographie auszeichnet, so erhofft man, ein Lesevergnügen aus Reiz, Spannung und (es wäre gelogen, das nicht einzufordern) gewissermaßen erotischer Impression vorzufinden. Leider wird jene Erwartung in vollem Umfange enttäuscht. Sexuelle Ästhetik erweckt in Peter Hacks Lektüre nur den Eindruck eines leblosen Theorems. Arme Literatur, wenn das die einzige Alternative zu Hardcore und sexueller Überfrachtung in Gesellschaft und Medien sein soll!
Von Björn Hayer
Literaturangaben:
HACKS, PETER: Gewisse Geheimnisse. Vom Nutzen und Nachteil der Pornographie. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2008. 64 S., 14,90 €.
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