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Kommentar: Von Schuld, Verbrechen und Lob

Kommentar: Männer loben anscheinend lieber Männer / Wo bleiben die Frauen?

© Die Berliner Literaturkritik, 06.09.10

Von Kerstin Fritzsche

Zuerst war es ein gesellschaftliches Phänomen, das zu Literatur wurde, und jeder fand es toll. Jetzt versucht jeder, hinter der Literatur die gesellschaftliche Wirklichkeit zu ergründen und ist enttäuscht, wenn es Literatur bleibt. Nach Ferdinand von Schirachs hochgelobtem Bestseller „Verbrechen“ kommt nun „Schuld“, und die Feuilletons sehen der Reihe nach in die Röhre: Wie wissen wir denn jetzt, was daran echt und ist und was nicht? Waren bei „Verbrechen“ alle noch so begeistert davon, wie der Strafverteidiger von Schirach aus echten Erlebnissen dichte Kurzgeschichten mit Metaebene zauberte, so spielt bei seinem Zweitling „Schuld“ plötzlich literarische Qualität keine große Rolle mehr, und alle fragen sich nur noch, ob und welche Fälle da genau indirekt beschrieben werden, da der Autor ja so frei ist, eben nur zu beschreiben und nicht zu deuten – ein gesellschaftliches Phänomen, das man vielleicht gar nicht verstehen kann, über das man aber dennoch reden muss.

Die sonst in Sachen gesellschaftsrelevanter Literaturkritik stets sehr verständnisvolle „taz“ ist enttäuscht. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ scheint so ratlos, dass sie keine richtige Kritik wagt, sondern eher ein Porträt des Autors, das mit dem denkwürdigen, aber nicht begründeten Abschluss endet: „Der Realität liegt nichts daran, plausibel zu erscheinen. Die Gründe für große literarische Erfolge sind so schwer zu benennen wie die für große Verbrechen. Die Dinge sind, wie sie sind. „Schuld“ ist ein großes Buch.“ (Georg M. Oswald)

Lob für Kehlmann

Lob gießen einige sich überschlagende Feuilletonisten derzeit auch über einem anderen Schriftsteller aus: Einer, der sehr dafür gelobt wird, wie und wen er lobt, ist Daniel Kehlmann („Lob. Über Literaturkritik“). Für manche Kollegen scheint es schon ein Phänomen zu sein, dass der Schriftsteller als solcher auch Kritiker sein kann (völlig neues Phänomen!) und vor allem als so junger (mit 35!). Wenn man genau hinguckt, ist Kehlmann hier einfach als Schriftsteller tätig, der über Schriftsteller schreibt, wie es in den USA und Frankreich beispielsweise ständig passiert. Wohlgemerkt aber Schriftsteller: Philip Roth, Thomas Bernhard, Tolkien, John Updike, Coetzee, Stephen King, Beckett, Voltaire, Stendal,... die Liste lässt sich noch unzusammenhängend durch die Epochen fortsetzen, und man wird keine einzige Frau dabei finden.

Die Weltliteratur ist eben ein Vermächtnis der großen Männer und kann auch nur von eben solchen erklärt und eingeordnet werden. Und weil Kehlmann so ein „Überblicker“ (FAS) ist, darf der das als „Gelehrteninstanz seiner Schriftstellergeneration“ (FAS), und da macht es auch nichts, dass er erst 35 ist, denn er ist ja immerhin noch ein Mann.

Und die Frauen?

Ach so, und weil dann schon so viele Männer über Männer, die großteils über Männer schreiben, geschrieben haben, darf dann die Kritik der Kritik auch mal eine (junge!) Frau schreiben, nämlich in diesem Fall für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ Julia Encke. Als hätte es Elfriede Jelinek, Katja Lange-Müller, Toni Morrison, Hertha Müller, Zadie Smith, Harper Lee, Elisabeth Langgässer, Elif Safak, …. nicht gegeben. Frau Radisch, bitte übernehmen Sie und schreiben doch mal eine Geschichte der weiblichen Literaturkritik im literaturgeschichtlichen Zusammenhang über die weltbedeutenden Werke von Schriftstellerinnen.


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