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Kontroverse Kapuscinski Biografie

Dem „Reportagekaiser“ sollen in seinen Publikationen sachlicher Fehler unterlaufen sein

© Die Berliner Literaturkritik, 03.03.10

Von Jacek Lepiarz

WARSCHAU (BLK) - Der polnische Journalist und Schriftsteller Ryszard Kapuscinski hat mit seinen Berichten aus Afrika, Asien und Lateinamerika ein halbes Jahrhundert lang das Bild der „Dritten Welt“ in Europa geprägt. Als er im Januar 2007 mit 74 Jahren starb, galt der nobelpreisverdächtige „Jahrhundertreporter“ weltweit als eine Autorität. Seit seiner ersten Indien-Reise 1956 berichtete Kapuscinski zunächst als Korrespondent der Polnischen Presseagentur PAP, später im Auftrag des im ganzen Ostblock berühmten Wochenmagazins „Polityka“ über Umbrüche in der Welt, etwa aus Angola, Iran oder Äthiopien.

Drei Jahre nach dem Tod des „Kaisers der Reportage“ kratzt nun ein jüngerer Berufskollege von der Zeitung „Gazeta Wyborcza“, Artur Domoslawski (42), am Denkmal des Meisters. Die Enthüllungsbiografie „Kapuscinski, Non-Fiction“ löste in Polen heftige Kontroversen aus, noch bevor das Buch in dieser Woche in die Buchhandlungen gekommen ist.

Die Witwe, Alicja Kapuscinska, hatte wegen brisanter Familiendetails vergeblich versucht, auf dem Rechtsweg die Publikation zu stoppen. Ein Krakauer Verlag zog sich kurzfristig aus dem Geschäft zurück, ein anderer, die polnische Bertelsmann-Tochter Welt des Buches, rettete das Projekt im letzten Augenblick.

„Wir haben Kapuscinski zur Ikone stilisiert und wollten gar nicht wissen, wie er in Wirklichkeit war“, sagte Domoslawski in einem Presse-Interview. Die Wahrheit habe sich als komplizierter als der Mythos erwiesen, sagte er. Das Fazit seiner jahrelangen Recherchen: Kapuscinski habe manchmal eine „nonchalante“ Einstellung gegenüber den Fakten gehabt, manche seiner Berichte gehörten eher in die Schublade „Literatur“ als zum Genre „Reportage“.

Dabei nahm der Biograf vor allem das berühmteste Buch von Kapuscinski, „König der Könige. Eine Parabel der Macht“ unter die Lupe. „Alles Märchen“, kommentierte eine Augenzeugin die Beschreibung des 1974 gestürzten Herrschers Äthiopiens, Kaiser Haile Selassie. Auch in anderen Publikationen sollen Kapuscinski sachliche Fehler unterlaufen sein. Zudem habe er die journalistische Neutralität verletzt, etwa als er mit der Waffe in der Hand an der Seite der angolanischen Aufständischen kämpfte, heißt es in dem Buch.

Domoslawski verwies auch darauf, dass Kapuscinski sein Image als ein unerschrockener Reporter, der immer wieder sein Leben riskierte, bewusst gestaltete und manche angeblich gefährliche Situationen „gefärbt“ habe. Was Kapuscinski erzählte, habe er immer durch zwei geteilt, erinnert sich der polnische Außenminister aus der Zeit nach der demokratischen Wende, Adam Daniel Rotfeld.

Viel Platz nimmt in der Biografie das politische Engagement des Geschichtsstudenten Kapuscinski in der Zeit der stalinistischen Diktatur ein. In seinen ersten Gedichten lobte er den Sozialismus, 1953 trat er „aus Überzeugung“ der KP bei. Im Parteiapparat hatte er Vertraute, die seine Karriere förderten. Erst nach der Verhängung des Kriegsrechts 1981 gab er das Parteibuch zurück.

Dass er bis in die 70er Jahre Kontakte zum kommunistischen Geheimdienst unterhalten hatte, wurde bereits vor Jahren bekannt. Seine Auftraggeber wollten, dass er amerikanische Institutionen im Auge behält. Doch Kapuscinski erwies sich als ein fauler Agent: sein Dossier enthält nur wenige, eher unbrauchbare, Berichte. Kapuscinski sei ein IM gewesen, was aber geblieben sei, seien seine Bücher, entlastete ihn der Chef des Instituts des Nationalen Gedenkens, Janusz Kurtyka.

Kapuscinskis Übersetzer Martin Pollack, der die meisten seiner Bücher ins Deutsche übertragen hat, erklärte, er wolle die Biografie nicht übersetzen. Die Publikation enthalte viele Unterstellungen, der Biograf wolle Kapuscinski kompromittieren, begründete Pollack gegenüber der dpa seine Entscheidung. Dabei sei der Autor von „Schah-in-Schah“, „Fußballkrieg“, „Der Andere“ oder „Meine Reisen mit Herodot“ ein „wunderbarer Schriftsteller“ gewesen.

In Schutz nahm Kapuscinski auch einer der führenden Schriftsteller Polens, Andrzej Stasiuk. Helden ohne Schwächen gebe es nur in Kindermärchen, schrieb er am Montag in der Zeitung „Gazeta Wyborcza“. Kapuscinski sei wie ganz Polen gewesen: „gespalten, auf Kompromisse angewiesen, verängstigt, egoistisch, aber gleichzeitig stark und entschlossen“. Stasiuk weiter: „Ein Schriftsteller ist ein Lügner, auch wenn es ihm scheint, dass er die Wahrheit schreibt."


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