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Kopenhagen von unten

Jonas T. Bengtssons neuer Roman „Submarino“

© Die Berliner Literaturkritik, 31.03.10

Von Axel Bussmer

Zwei Brüder in einer Welt aus Drogen, Gewalt und Einsamkeit. Sie begegnen sich nach langer Zeit und beschließen einen Neuanfang. So liest sich der Klappentext von Jonas T. Bengtssons neuestem und inzwischen von Thomas Vinterberg verfilmtem Roman „Submarino“, der verdächtig nach dem nächsten 08/15-Noir klingt. Denn natürlich bedeutet dieser Neuanfang, dass die beiden Brüder ein gemeinsames Verbrechen planen und das dann gründlich schiefgeht.

Aber der Klappentext führt auch hier auf eine falsche Spur. Denn Jonas T. Bengtsson erzählt nicht die Geschichte vom großen Coup, sondern von dem Leben der beiden Brüder. Der eine lebt in einem Übergangswohnheim und hält sich meistens in einem Fitnessstudio auf. Seine Tage verlaufen im immergleichen Trott, bis er eines Tages einen Obdachlosen sieht, den er von früher kennt. Es ist Ivan, der Bruder seiner großen Liebe Ana. Nick will dem Kriegsflüchtling helfen. Aber Ivan lebt inzwischen in seiner eigenen Welt. Dennoch kommen sie sich langsam näher.

Der andere Bruder ist ein alleinerziehender, drogensüchtiger Vater. Er liebt seinen Sohn Martin über alles und will ihm jeden Wunsch erfüllen. Dafür steigt er vom Junkie zum Drogenhändler auf. Äußerlich bessert sich sein Leben. 

Diese beiden Geschichten hat Jonas T. Bengtsson, der sich, nach eigenem Bekunden, viel Zeit für die Struktur seiner Romane nimmt, fein säuberlich in verschiedene Kapitel getrennt. Zuerst erzählt er in „Ivan“ die Geschichte des einen und anschließend in „Martin“ die Geschichte des anderen Bruders.

Die von Bengtsson gewählte Struktur spiegelt dabei sehr elegant und unauffällig das Leben der Brüder wider. Auch wenn sie sich im gleichen Stadtteil von Kopenhagen aufhalten, haben sie keinen Kontakt mehr miteinander. Ihre Leben verlaufen auf verschiedenen Bahnen am unteren Rand der Gesellschaft und mit mehr oder weniger großer staatlicher Unterstützung und Kontrolle. Sie haben in ihrem Leben keine Ziele, auf die sie ihre Energie richten könnten.

In die in der Gegenwart spielenden Teile webt Bengtsson pointilistisch deren Erinnerungen an ihre großen Lieben und ihre gemeinsame Jugend.

Nick und sein namenloser Bruder wurden in verschiedenen Kinderheimen und Pflegefamilien großgezogen. In einer Familie wurden sie zu Brüdern erklärt und in dieser Familie starb auch ihr jüngerer Bruder unter gar nicht natürlichen Umständen.

Sie unterscheiden nicht zwischen Gegenwart und Vergangenheit, weil ihr Leben keine Kontinuität und kein Ziel hat. Sie sind gesellschaftliche Außenseiter, bis Bengtsson mit seinen minimalistischen, ähnlich strukturierten und im Präsens (eine unschöne Erzählzeit, die hier aber sinnvoll eingesetzt wird) erzählten Plots beginnt.

Jeder Bruder ist am Anfang vereinsamt. Daran ändern auch die zahlreichen Bekannten von Nick nichts. Sie sind so flüchtig wie der Sex, den er mit einer Nachbarin hat. Eigentlich ist es noch nicht einmal richtiger Sex: sie bläst ihm unaufgefordert immer wieder einen und er lässt es geschehen.

Jeder Bruder übernimmt die Verantwortung für jemand anderes. Sie versuchen so, sich aus ihrer selbstgewählten Isolation zu befreien. Allerdings haben sie in ihrer Kindheit und Jugend niemals gelernt, produktiv mit der Herausforderung, jemand anderen zu erziehen, umzugehen. So taumeln sie, wie es sich für einen Noir gehört, auf unterschiedlichen Wegen ins Verhängnis.

Dennoch entlässt Bengtsson am Ende seine Leser mit einem Hoffnungsschimmer.

Bengtsson wollte bei „Submarino“ nämlich keinen deterministischen Zirkel von Gewalt und wiederkehrender Gewalt, die von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben wird, und vom generationsübergreifenden Scheitern in der Gesellschaft zeichnen. Ihn hatte der individuelle Kampf der beiden Brüder interessiert. Denn sie geben nicht auf und sie engagieren sich für andere Menschen. Wie sie das tun und warum sie am Ende von „Submarino“ im Gefängnis sitzen, erzählt Jonas T. Bengtsson in seiner knappen und klaren Prosa.

 

Literaturangabe:

BENGTSSON, JONAS T.: Submarino. Aus dem Dänischen von Günther Frauenlob. Tropen Verlag, Stuttgart 2009. 384 S., 19,90 €.

 

Weblink: Tropen-Verlag

 

 


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