Staaten wie auch Individuen werden stets bemüht sein, den Eigennutz ihres Handelns stetig zu maximieren, so das wirtschaftsphilosophische Credo nach Adam Smith in seinem Aufsatz zum „Wohlstand der Nationen“. Doch wie soll dies in Anbetracht der jetzt schon absehbaren Folgen des Klimawandels und des weltweiten Bevölkerungswachstums möglich sein? Der moralische Appell der fortschrittlichen Länder an die aufstrebenden Staaten, behutsam mit Ressourcen und Umwelt umzugehen, vergisst meist, dass sie selbst den größten Teil der Schuld am Klimawandel tragen. Diejenigen mit den geringsten Lebenschancen, werden am meisten unter den Folgen leiden. Die größten Verschmutzer verfügen hingegen über die besten Kapazitäten, klimabedingte Probleme zu bewältigen.
Das Ansteigen der Erdtemperatur um nur zwei Grad bis 2050 ist bereits jetzt nur noch mit hohem technischen Aufwand und enormem politischem Wille aller Staaten möglich. Eine solche oder noch stärkere Erderwärmung wird unweigerlich zum verstärkten Abschmelzen der Polareiskappen, dem Ansteigen des Meeresspiegels und Überschwemmungen in den weltweiten Küstenregionen führen, aber auch zu Veränderungen der Weltklimaperioden und damit zu größeren Dürrekatastrophen, zur Ausweitung der Wüstenregionen, grassierendem Wassermangel und enormen Hungerkatastrophen. Die Effekte des Klimawandels kumulieren sich, so dass die Lebensräume und -ressourcen für eine wachsende Bevölkerung schwinden werden und der Kampf um die lebensnotwendigen Ressourcen immer härter werden wird. Die Folgen der Erderwärmung werden daher zu einem direkten Beschleuniger des gewaltsamen Austragens von Konflikten, so der Autor des Buches „Klimakriege - Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird“, Harald Welzer.
Welzer ist Direktor des Essener Center for Interdisciplinary Memory Research. Sein Metier sind Gewaltexzesse und deren subjektiv empfundene Wahrnehmung. Daher beschäftigen ihn als Soziologe die äußeren Bedingungen für kriegerische Konflikte sowie die Antwort auf die Frage, was Gesellschaften als eine Ansammlung von Individuen grundsätzlich zur Gewaltanwendung motiviert. Die Folgen des Klimawandels werden eine enorme Antriebskraft für die verstärkte Gewaltanwendung und weitere Massenmorde entwickeln, so der Soziologe in seinem aktuellen Buch, denn massive Gewalt sei ein oft erprobtes Mittel, gefühlten sozialen Bedrohungen zu begegnen.
Wenn heute davon geredet wird, dass „wir“ etwas gegen den Klimawandel tun müssten, bleibe unklar, wer eigentlich mit dem „Wir“ gemeint sei, so Welzer. Die hier unterstellte kollektive Wahrnehmung gebe es nicht, schon gar nicht ein kollektives Verschulden des Klimawandels. Die Verknappung der Lebensräume, der landwirtschaftlichen Nutzflächen, der Rohstoffe und der lebensnotwendigen Ressourcen durch die Klimawandelfolgen in den am meisten betroffenen Ländern lassen die dort wachsenden Bevölkerungen immer stärker in Konkurrenz zueinander treten. Klimakriege bestehen in solchen Regionen – die oft zusätzlich von Entstaatlichung und privaten Gewaltmärkten (Warlordism, Söldnertum) geprägt sind – bereits jetzt. Die Akteure in diesen Gewaltmärkten haben kaum ein Interesse an einer Beendigung der Kämpfe. „Man sät Gewalt und erntet Ressourcen!“ formuliert Welzer das einfache Prinzip dieser Gewaltökonomien, in denen Einzelne aus dem Elend der Masse Profit schlagen. Aus diesem Grund seien Dauerkriege „eine zukunftsträchtige Form der Gewalt“, schreibt Welzer in seinem aktuellen Buch.
Der Klassiker unter den Klimakonflikten besteht in den erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den Ethnien der nomadischen Viehzüchter und der sesshaften Feldbauern um die immer knapper werdenden landwirtschaftlichen Nutzflächen, wie sie in der jüngeren Vergangenheit immer wieder in Äthiopien, Somalia und Ruanda sowie aktuell auch in Darfur stattfinden. Ein Blick auf diese und andere Klimakonflikte macht deutlich, dass die Folgen des Klimawandels auch zukünftig willkommene Anlässe zu Gewaltausbrüchen darstellen werden. Der Westen werde Länder sogar regelrecht „aufgeben“, so Welzer und bringt etwas auf den Punkt, was man als kulturellen Verfall bezeichnen könnte. Mit der Zunahme von Armut, Krieg und Elend in den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Staaten vollzieht sich auch ein Ansteigen der Gleichgültigkeit gegenüber diesen Zuständen in den anderen Ländern. Die Anwendung massiver Gewalt wird zur ethnischen Eigenschaft umetikettiert.
Wenn man den bisherigen Fokus von den ethnischen und ideologischen Faktoren der Konflikte auf deren ökologische Aspekte verlegte, würde jedoch deutlich werden, dass viele der in solchen Regionen stattfindenden Konflikte um Ressourcen wie Wasser, Boden und Luft gefochten werden, schreibt Welzer in seinem Buch. Das fortgesetzte globale Verschmutzen der Süßwasservorräte, die Rodung weltweiter Baumbestände, die Verringerung landwirtschaftlicher Nutzflächen durch selbst verschuldete Bodenerosion, der Raubbau nicht nur fossiler Energien, sondern auch von Edelmetallen, -steinen und -hölzern, das Überfischen der Meere, die Ausrottung von Pflanzen und Tieren und die weiteren kumulierten Effekte des Klimawandels verschlimmern die Situation tagtäglich.
Doch die Gesellschaften der nördlichen Hemisphäre haben keinen Grund, sich in Sicherheit zu wiegen. Die Folgen des Klimawandels und die darauf folgenden Reaktionen werden die Industriestaaten in vollem Maße treffen. Welzer prophezeit, dass Überschwemmungen und die Ausbreitung der Wüsten sowie die bevorstehenden gewaltsamen Ressourcenkonflikte eine neue Form der Massenmigration hervorrufen werden, die das aktuelle Ausmaß der Süd-Nord-Wanderung um ein Vielfaches übersteigen wird. Seine in diesem Teil des Buches geführte Argumentation könnte treffender und schärfer kaum sein. Die aktuelle Abschottungspolitik, die die Europäische Union ebenso wie die Vereinigten Staaten der USA vor allem an ihren Südgrenzen vornimmt, stelle nur ein Probelauf für das dar, was in den kommenden Jahren an ihren Grenzen umgesetzt werden wird. Die Prioritäten in den nördlichen Staaten werden sich außerdem von der persönlichen Freiheit auf die kollektive Sicherheit verschieben. Je stärker die Folgereaktionen des Klimawandels in den Industriestaaten zu spüren sein werden, umso unwahrscheinlicher ist es, dass massive Gewaltanwendung oder gar Klimakriege auf die Staaten und Gesellschaften der Südhalbkugel beschränkt sein werden, schreibt Welzer in seinem Buch.
Schrieb Welzer in seiner sozialpsychologischen Studie der Massenmorde noch, dass nicht jeder Krieg Genozide, ethnische Säuberungen und Massenmorde hervorbringe und „nicht jeder geöffnete Handlungsraum zum erweiterten Anwenden von Gewalt eskaliert“, so kommt er in seinem aktuellen Buch zumindest zu dem Schluss, dass die Folgen des Klimawandels den Rückgriff auf extreme Gewalt attraktiv und wahrscheinlich machen. „Das 21. Jahrhundert ist in Ermangelung zukunftsfähiger Gesellschaftsmodelle utopiefern und ressourcennah – es wird getötet, weil die Täter jene Ressourcen beanspruchen, die die Opfer haben oder auch nur haben möchten.“
Harald Welzer ist mit „Klimakriege“ ein in weiten Teilen hervorragendes Buch zu den konkreten gewaltsamen Folgewirkungen der Erderwärmung gelungen. Faktenreich und fächerübergreifend zieht der Soziologe haarscharfe Schlüsse aus den historischen Erfahrungen und überträgt diese passgenau auf die Aktualität. Dass die sich daraus ergebende Perspektive für das 21. Jahrhundert eine vorwiegend Negative ist, liegt nicht an Welzers Pessimismus, sondern an den Fakten der Zeit. Der politische Wille, gemeinsam gegen den Klimawandel vorzugehen, hat sich noch nicht durchgesetzt. Aber, sagt Harald Welzer am Beginn seines Buches, es gebe Bücher, die schreibe man „in der Hoffnung, dass man Unrecht hat“.
Von Thomas Hummitzsch
Literaturangaben:
WELZER, HARALD: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 336 S., 19,90 €.
Verlag