MÜNCHEN (BLK) – Der Carl Hanser Verlag veröffentlicht Bill Bufords literarisches Kochbuch „Hitze“. Der Mitbegründer des Literaturmagazins ,New Yorker’ schildert darin seine Erlebnisse als Neuling in der Welt der Gastronomie. Der Autor verbindet in dem Buch den Bericht über seine gastronomische Initiation gekonnt mit einer Reportage über seinen kulinarischen Italienaufenthalt, teilt der Verlag mit.
Klappentext: Bill Buford, Ex-Verleger und Ex-Literaturchef, kündigt seinen Job bei der renommierten Zeitschrift New Yorker, um ein Jahr lang in der Küche des Sterne-Restaurants Babbo Töpfe und Pfannen zu schrubben und zu lernen. Am Ende kocht er tatsächlich wie ein Profi und hat vor allem eins begriffen: Gutes Essen fängt bei den Zutaten und ihrer Erzeugung an. Und so reist er nach Italien, um im Chianti die Pastaherstellung zu lernen und bei einem Metzger alles zu erfahren, was man über Fleisch wissen muss. Zurück in New York, kauft er ein ganzes Schwein und verarbeitet es komplett: zu 450 Mahlzeiten.
Bill Buford, Ex-Verleger und -Literaturredakteur der berühmten Zeitschrift New Yorker, wurde 1954 in Baton Rouge, Louisiana geboren. Er studierte in Berkeley und Cambridge, war Gründungsredakteur und sechzehn Jahre lang Herausgeber des Literaturmagazins Granta und später Verleger bei Granta Books. Von 1995 bis 2002 arbeitete er als Literaturredakteur für den New Yorker, für den er auch heute noch tätig ist. (mik/tan)
Leseprobe:
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Der Maestro begrüßte mich am ersten Morgen. „Du bist also zurückgekommen, um deine Unterweisung am Schenkel wiederaufzunehmen“ Natürlich war ich zurückgekommen. Wie hätte ich anders gekonnt? Dario erwartete mich seltsamerweise. Warum hast du so lange gebraucht? fragte er. Wie konnte er das wissen? Er beantwortete die Frage, indem er mir von einem Mann aus New Jersey erzählte. Der Mann war nach San Gimignano gekommen, in die berühmte Stadt der Türme, etwa eine Stunde entfernt, um zu lernen, wie man Brot bäckt.
Am Ende seines Aufenthalts packte er seine Koffer und fuhr nach Pisa, um nach Hause zu fliegen. Aber er konnte Italien nicht verlassen. Er konnte nicht die Gangway des Flugzeugs hochgehen. Also zerriss er sein Ticket. „Er ist seit zweiundzwanzig Jahren hier. Er ist ein sehr guter Bäcker“, sagte Dario in seinem herrischen Hier-spricht-Gott-Tonfall. „Du kannst auch dein Ticket zerreißen.“ (Meine Frau, die neben mir stand, trat ängstlich von einem Fuß auf den anderen. Sie wusste, dass ich nicht mal ein Rückflugticket hatte.)
Ohne dass es mir ganz bewusst war, hatte sich meine Mission geändert. Als ich diese Geschichte angefangen hatte – was ich inzwischen als meinen Ausflug in die Unterwelt der professionellen Küche betrachtete –, war ich ein Besucher gewesen. Ich war ein Tourist gewesen, und wie so viele Touristen war ich fähig gewesen, mich mit solcher Hingabe in meine Reise zu stürzen, weil ich wusste, dass sie ein Ende haben würde. Im Babbo steckte ich Schelte besser weg als andere, weil ich wusste, dass dies nicht mein Leben war. Jetzt fragte ich mich: War ich zu lange geblieben?
Mario sagte einmal, um eine Küche richtig kennenzulernen, müsse man ein Jahr bleiben und sich durch die Jahreszeiten kochen, und ich hatte gedacht: Das kann ich. Also war ich von Januar 2002 bis März 2003 im Babbo (abzüglich der Zeit, die ich mir für meinen Bürojob frei nahm, wenn ich einen hatte). Mario sagte, wenn du die italienische Küche beherrschen willst, solltest du die Sprache lernen und in Italien arbeiten, und ich hatte mir gedacht: Das kann ich auch. Das war offensichtlich nicht genug, weil ich mir dann in den Kopf setzte, eine Miniversion von Marios eigener kulinarischer Ausbildung zu absolvieren: den Mann kennenlernen, indem man seine Lehrer kennenlernt. Und so verbrachte ich einige Zeit bei Marco Pierre White (Marios erstem Lehrer) und einige Wochen bei Betta und Gianni (Marios Pastalehrer). Mario hatte zwar nie für Dario Cecchini gearbeitet, aber Marios Vater schon: nicht passgenau, aber dicht dran.
Dann hatte ich die Schwelle überschritten. Ich war nicht mehr länger draußen und schaute hinein. Ich hörte auf, ein Autor zu sein, der über das Erlebnis Küche schrieb. Ich war ein Mitglied davon. Die Schwellenüberquerung war für die Leute meiner Umgebung offensichtlich – meine leidgeprüfte Frau hatte insgeheim in mir die Züge erkannt, die man im allgemeinen als obsessiv bezeichnet (Manie, Mangel an Perspektive, die Unfähigkeit, Grenzen zu erkennen) –, aber mir war das nicht klar gewesen, selbst nicht, als ich in New York aufwachte und den Entschluss fasste, nach Panzano zurückzukehren. Musste ich zurückkommen? Natürlich nicht. Aber ich konnte Marios oft wiederholten Ausspruch nicht vergessen, als er Nick zur Schnecke machte, weil er in Mailand Heimweh bekommen hatte: Nie wieder wirst du die Gelegenheit haben, so viel zu lernen. Dario Cecchini hatte mir seine Klinge anvertraut. Er hatte den Maestro gebeten, seinen eigenen Maestro, mich zu unterrichten. Wie konnte ich da aufhören?
Ja, Maestro, so bin ich also wieder da, um meine Lektion mit dem Schenkel zu vollenden. Der Schenkel gehörte einer Kuh, und ihn zu beherrschen war ein entscheidender Nachweis dafür, dass man ein Metzger aus der Toskana war. Am letzten Tag meines ersten Aufenthalts, unmittelbar vor meiner Rückkehr nach New York, hatte ich es versucht, mit dem Maestro an meiner Seite, und es vermasselt. Egal: Der Maestro, geduldig wie immer, hatte angenommen, wir hätten noch Wochen Zeit für die Unterweisung, denn ich hatte nichts davon gesagt, dass ich nach Hause musst, und er war wirklich fassungslos gewesen, als ich ihm dies mitteilte. „Wovon redest du überhaupt? Wie kannst du gehen, gerade wenn du es mit dem Schenkel noch einmal versuchen musst?“ Er hatte verwirrt den Kopf geschüttelt. Ich kam mir vor, als hätte ich ihn arglistig getäuscht: als hätte ich mir beim Maestro eine Schenkellektion erschlichen, indem ich vorgab, ein toskanischer Metzger zu sein – obwohl ich in Wahrheit nur ein Tourist war.
Ich band eine Schürze um, machte mich wieder an die Arbeit und erlebte das, was ich inzwischen als symbolische Metamorphose betrachte. Eine japanische Familie erschien im Metzgerladen, drängte sich um ihre englischsprechende begeisterte Mutter. („O Gott, ist das Dario Cecchini? Ist das echter Chianti in meinem Glas?“) Sie fotografierten viel. Dann kamen sie nach unten und fotografierten mich, mit dem Messer in der Hand, meine bodenlange Schürze bereits voller Blut. Die Schwellenüberquerung war vollendet. Ich war kein Tourist mehr. Ich war eine Sehenswürdigkeit.
Wie ich meinen Unterricht verstand, hatte ich während meines ersten Aufenthalts eine Reihe von Dingen studiert, aber meinen Abschluss in Schwein gemacht. Jetzt, während meines noch lernintensiveren zweiten Aufenthalts (ich stellte ihn mir als Ausbildung zum Metzgermeister vor), würde mir Kuh beigebracht werden. Schwein war leicht, Kuh kompliziert. Schwein war sehr italienisch, man findet eine Menge Leute, die sich mit Schwein auskennen. Aber nur wenige haben eine Ahnung von Kuh. Kuh war toskanisch, und Kuh zu kennen war der Kern dessen, was es bedeutete, aus Panzano zu sein.
Giovanni Manetti hatte mir das erklärt, als meine Frau und ich ihn besuchten. Wir hatten seine Weinproduktion sehen wollen, das weitläufige Gut Fontodi in der Conca d’Oro, Weinberg über Weinberg mit Rebstöcken, die jetzt schwer waren von geschwollenen, violetten Früchten. Aber wir waren von seiner jüngeren Schwester Giovanna gewarnt worden (eine Bekannte meiner Frau, die sich untertags allein die Zeit vertreiben musste und sich dabei mit den neunhundert Bewohnern von Panzano angefreundet hatte), dass er unseren Besuch nützen würde, um mit seinen Kühen anzugeben. Die Kühe, vier junge weiße Chianine, bekannt als „die Mädchen“, waren ein spontaner auf gewesen (Giovanni war immer noch von einem Entdecke-deine-Chiantiwurzeln-Wahn besessen) und wurden in einer Koppel am Fuß des Tales gehalten.
Für Italiener ist kein Bild typischer für das Chianti als eine Chianina. Das Wort „Chianti“ scheint darin begraben. Jedes Klischee über diese Region steckt in diesem Tier: all diese rauhe Steinhaus-bewohnende-Rindfleisch-essende- Bauern-Authentizität. Leider sieht man sie nicht mehr. Das heißt, abgesehen von denen Giovannis hatte ich keine gesehen. Giovanni, der seine Mädchen aufzuziehen versuchte, hatte sich eine größere Aufgabe gestellt („Ich weiß, ich bin verrückt, alle in Panzano lachen mich aus“). Er versuchte, das Erbe des Chianti vor Touristen und gepflasterten Straßen und der Elektrizität zu retten und die berühmte Kuh wieder einzuführen, die das Land einmal gepflügt hatte.
„Sie sind sehr empfindlich“, sagte Giovanni mit Blick in die Koppel, die Stirn an eine Holzlatte gedrückt. „Es heißt, sie kriegen leicht eine Erkältung.“ Ich schaute. Mir schienen sie nicht zerbrechlich. Sie waren Riesen, bei weitem die größten Kühe, die ich je gesehen hatte. „Schau dir ihre Beine an!“ („Ecco le gambe!“) „So lang, so grazil, so herrlich geformt. Wirklich, sie sind wie Fotomodelle“ Er seufzte. Ich musterte sie. Sie sahen überhaupt nicht aus wie Fotomodelle. Sie sahen wie Kühe aus. Natürlich waren sie ganz ungewöhnliche Kühe. Sehr weiß und sehr hoch. Sie waren auch schlanker als normale Kühe und nicht so breit. Die meisten Kühe sind im Grunde genommen rund. Diese hier waren – wenn man die Augen zukniff, um sie anzuschauen – wie Rechtecke: nicht sehr breit, aber höher (viel höher) vom Boden bis zum Rücken.
Dann sah ich plötzlich die traditionelle Bistecca Fiorentina in ihrer Gestalt – die Höhe, das schmale Rückgrat. Ich weiß nicht, wie das passierte: wahrscheinlich ein Symptom dafür, dass ich lange Zeit in einem Metzgerladen verbracht hatte. Aber sobald ich das Steak im Tier gesehen hatte, war das Steak das einzige, was ich sah. Eine Fiorentina sieht aus wie ein Dreieck – wie ein T-Bone-Steak, aber riesig und geometrisch klarer definiert. Um eine zu erhalten, spaltete man, wie ich jetzt sah, das Rückgrat des Tieres (Kühe kamen bereits geteilt im Metzgerladen an), welches dann der untere Teil des Steaks war – genauer gesagt die Basis des Dreiecks. Das Fleisch waren die beiden daran festgewachsenen Muskeln: das „flache Roastbeef“ (dasselbe Lendenmuskelgewebe, das auch Sie zu beiden Seiten Ihrer Wirbelsäule haben) und das Filet, das kleine darunter. Eine klassische Bistecca Fiorentina war ein ziemlich schönes Ding.
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Literaturangaben:
BUFORD, BILL: Hitze. Abenteuer eines Amateurs als Küchensklave, Sous-Chef, Pastamacher und Metzgerlehrling. Aus dem Amerikanischen von Dinka Mrkowatschki. Hanser Verlag, München 2008. 382 S., 24,90 €.
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