Von Rolf Schraa
ESSEN (BLK) - Der Förderturm von Zeche Zollverein liegt voll Schnee, zur Fortbewegung auf dem weitläufigen Industriegelände sind dicke Schuhe mit rutschfesten Sohlen Pflicht. Der Kulturhauptstadt-Traum des oft als „Kohlenpott“ unterschätzten Ruhrgebiets beginnt an diesem Samstag (9.01.) als Wintermärchen: Neuer Schneefall ist sicher, und die Wetterdienste warnen vor Schneeverwehungen und eisigem Nordostwind. Da der 90-minütige Festakt zur offiziellen Eröffnung der Kulturhauptstadt 2010 in Essen und dem Ruhrgebiet mit Bundespräsident Horst Köhler und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ungeheizt und unter freiem Himmel direkt vor der spektakulären Kulisse der Kokerei Zollverein stattfindet, gab es sogar Sorgen, alles müsse verschoben werden.
„Nur im absoluten Notfall, wir ziehen das durch“, sagt jedoch Ruhr.2010-Chef Fritz Pleitgen. Die 1200 Gäste des Festaktes bekommen „Überlebenspäckchen“ mit Sitzkissen, Decke und Handwärmern. Der als ehemaliger Moskau-Korrespondent der ARD kälteerprobte Medienmann will die im Fernsehen übertragenen Livebilder von Musik, Tanz und Spitzenkultur bei der Eröffnung direkt neben der einst größten Zeche Europas auf keinen Fall missen.
Sie sollen den wirtschaftlichen Wandel im Ruhrgebiet in Szene setzen, der schon mit der Kohlekrise Ende der 50er Jahre begonnen hat: Seitdem sind hunderttausende Jobs in Zechen weggefallen, das Sterben der Hochöfen von Hoesch, Krupp und Thyssen hat Schlagzeilen gemacht - aber gleichzeitig entstanden im Ruhrgebiet neue Stellen etwa in der Medienwirtschaft, rund um die erfolgreichen Neu-Universitäten Bochum und Duisburg-Essen und im Gesundheitswesen.
„Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel“, lautet das Motto der rund 2500 Veranstaltungen und 300 Projekte der Kulturhauptstadt. Die Idee spiegelt sich in Bauwerken, die dem Ruhrgebiet noch lange nach dem Festjahr mit erwarteten fünf Millionen Besuchern erhalten bleiben: Aus einem ehemaligen Brauerei-Lagerhaus in Dortmund wird ein riesiges Kulturzentrum für fast 50 Millionen Euro, Zeche Nordstern in Gelsenkirchen bekommt eine pompöse Herkules-Skulptur auf dem Zechenturm, eine gewerblich genutzte Insel im Rhein vor Duisburg verwandelt sich in einen Kulturpark.
Gut 62 Millionen Euro kostet die Kulturhauptstadt im Ruhrgebiet. Weitaus größere private Gaben, etwa für das spektakuläre neue Folkwang-Museum in Essen, kamen hinzu. Mit hochkarätigen Musik-, Theater- und Ausstellungsreihen und Breitenveranstaltungen zum Mitsingen und für Kleinkunst soll das Festival helfen, europaweit die Klischees vom grauen Kohlenpott endgültig aus den Köpfen zu vertreiben. „Wir werden immer noch unterschätzt, das war auch bei der Bewerbung so: Da hatte uns gegen Städte wie Köln und Bremen doch keiner so richtig auf der Rechnung“, sagt Pleitgen.
Jetzt nennt der Ruhr 2010-Sprecher Marc Oliver Hänig das Medienecho auf die Eröffnung „schlicht sensationell“. Mehr als 500 Journalisten und 20 Kamerateams haben sich angemeldet. „So ist sicher noch keine Kulturhauptstadt begrüßt worden“, meint Pleitgen. Das gilt auch für das buchstäbliche Einläuten des Festjahres an diesem Freitag: Für 18.00 Uhr war ein Festgottesdienst im Essener Dom geplant, danach sollten im ganzen Ruhrgebiet mit seinen 53 Städten und Gemeinden in hunderten von Kirchen die Glocken läuten. Für den Wochenend-Einsatz auf Zeche Zollverein hat die Pressestelle angesichts des erwarteten Wintereinbruchs besondere Maßnahmen ergriffen: Für die Mitarbeiter wurden 20 rote Schals bestellt – damit man sie im Schnee besser erkennen kann.