Von Jan Brinkhus
WIESBADEN (BLK) - Der hessische Kulturpreis sollte ein Brückenschlag zwischen den Religionen werden, doch eine Zeitlang drohte die Brücke einzustürzen. Denn die Brückenbauer hatten sich teils heftig zerstritten. Die Situation hatte sich zugespitzt, als dem Schriftsteller und Muslimen Navid Kermani der Preis im Mai wegen eines umstrittenen Texts über das christliche Kreuz vorübergehend aberkannt wurde. Es folgten monatelange Auseinandersetzungen – bestes Anschauungsmaterial für das immer noch schwierige und mit vielen Empfindlichkeiten gepflasterte Verhältnis der Religionen. Mit der Preisverleihung am Donnerstagabend (26.11.) an Vertreter von Christentum, Judentum und Islam hat die Geschichte nun ein einigermaßen versöhnliches Ende gefunden.
Das erste Zeichen setzten die Preisträger selbst, die demonstrativ gemeinsam mit Ministerpräsident Roland Koch (CDU) zur Preisverleihung im Foyer des Wiesbadener Kurhauses eintrafen. Locker plaudernd zeigten sich Kermani, der Mainzer Bischof Kardinal Karl Lehmann, der Vizepräsident des Zentralrates der Juden, Salomon Korn, und der frühere Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Peter Steinacker. Doch bevor der Festakt begann, lag noch einmal eine gewisse Spannung in der Luft. Würde es zu einem neuerlichen Eklat kommen? Doch alle Redner waren sichtlich bemüht, kein neues Öl ins Feuer zu gießen.
„Ich freue mich, dass sie alle da sind“ - mit diesen doppeldeutigen Worten begann Koch seine Rede im prunkvollen Friedrich-von-Thiersch-Saal. Denn danach, dass wirklich alle vier Preisträger kommen würden, sah es lange Zeit nicht aus. Die Auszeichnung war in diesem Jahr den besonderen Verdiensten um den Dialog der Religionen gewidmet. Doch dieser Dialog entwickelte sich anders als gedacht. Denn diskutiert wurde erst einmal mehr über- als miteinander.
Doch der Reihe nach: Zu Ostern veröffentlichte die Neuer Zürcher Zeitung (NZZ) einen Aufsatz Kermanis, in dem dieser über eine Kreuzigungsdarstellung von Guido Reni schrieb. Darin befand sich unter anderem der Satz: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie.“ (Idolatrie = Bilderanbetung, auch Götzendienst) Am Ende des Textes kommt Kermani aber dann doch zur Erkenntnis: „Ich könnte an ein Kreuz glauben.“
Lehmann und Steinacker zeigten sich über den Text verärgert und verletzt. In einem Brief an Koch schrieb Lehmann, er wolle nicht gemeinsam mit Kermani geehrt werden. Steinacker sprang dem Mainzer Bischof zur Seite. Was dann geschah, beschrieb Koch in seiner Rede als „hektische Umstände“. Im Ergebnis stand die Aberkennung des Preises für den Orientalisten, der davon aber zuerst von Journalisten erfuhr.
Dies habe den Konflikt emotional verschärft und Kermani in eine schwierige Lage gebracht, sagte Koch. „Dafür entschuldige ich mich persönlich und im Namen aller Beteiligten.“ Der Ministerpräsident, der bisher öffentlich zu der Auseinandersetzung geschwiegen hatte, entschuldigte sich aber nicht ausdrücklich für die Aberkennung des Preises an sich.
Warum nur Kermani den Preis in diesem Fall nicht bekommen sollte, begründete Koch mit der christlich-jüdischen Prägung des Landes. „Ein Preis ohne die Repräsentanten der Katholischen und Evangelischen Kirche würde das für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft so wichtige Verhältnis von Religion und Kultur, die Grundlage des Preises war, einfach nicht korrekt abbilden.“ Glücklicherweise sei es gelungen, diese krisenhafte Situation zu überwinden. Erst ein Gespräch der vier Preisträger unter sich beendete Ende August die Irritationen - auch Kermani sollte von da an ausgezeichnet werden.
Der Autor und Orientalist hatte den beeindruckendsten Auftritt des Abends. Erst kritisierte er die Wahlkämpfe Kochs zu kriminellen Ausländern und Integrationsproblemen und schlug dann die Kurve zu der eigentlichen Auseinandersetzung. Von seinem bewusst literarisch angelegten Text habe er nichts zu relativieren oder zurückzunehmen, sagte Kermani. Er habe aber vielleicht nicht wachsam genug reagiert, als er gefragt wurde, ob er den Preis annehmen wolle. Er sei nämlich als Vertreter einer Religion ausgesucht worden. Er sei zwar Muslim und Schriftsteller, aber kein muslimischer Schriftsteller, betonte Kermani. „Ich bin ein deutscher Schriftsteller.“
Lehmann, der die Kontroverse mit ausgelöst hatte, hielt sich dagegen in seiner Rede zurück, den Streit der vergangenen Monate erwähnte er mit keiner Silbe. Und trug auch so dazu bei, dass der Abend doch noch zu einem Abend der Brückenbauer wurde.