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Kulturszene vermisste Kulturaffinität Köhlers

Der ehemalige Bundespräsident hinterlässt wenige „Kunst-Highlights“

© Die Berliner Literaturkritik, 02.06.10

Von Wilfried Mommert

BERLIN (BLK) - Für Horst Köhler ist ein Leben ohne Kunst „vielleicht möglich, aber nur halb so schön“, wie er einmal vor dem Deutschen Künstlerbund bekannte. Dennoch haben viele Künstler und andere Vertreter der Kulturszene ein offensiveres und leidenschaftlicheres Bekenntnis des Staates zu seinen Künstlern auch von „oberster Stelle“ oft vermisst. Es ist sicher nicht ganz gerecht, den Finanzfachmann Köhler mit Vorgängern im höchsten Staatsamt wie den Feingeistern Theodor Heuss und Richard von Weizsäcker oder mit dem redegewandten und bibelfesten Verlagsbuchhändler Johannes Rau, mit dem man über alles reden konnte, zu vergleichen. Aber etwas mehr „Kulturaffinität“ hätten sich viele Künstler dann doch vom Staatsoberhaupt im „Land der Dichter und Denker“ gewünscht.

„Er war der Bundespräsident, der am wenigsten kulturpolitische Duftmarken hinterlassen hat, wir haben das sehr bedauert“, bringt es der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, auf den etwas saloppen, aber wohl doch treffenden Punkt. „Nein, ein Kultur-Bundespräsident war er nicht, dazu gab es erstaunlich wenige Highlights in dieser Hinsicht in seiner Amtszeit“, sagte Zimmermann. „Für uns ist er unnahbar geblieben, trotz mancher Bemühungen unsererseits.“ Dabei hatte Köhler selbst immer wieder Deutschland als Kulturnation beschworen. Der Zufall wollte es, dass der erste öffentliche Termin, an dem Köhler nach seinem Rücktritt nicht mehr teilnahm, die Jahrestagung des Ordens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste am Berliner Gendarmenmarkt war.

Dabei hatte Köhler bei manchen Gelegenheiten wie zum Beispiel dem von ihm unterstützten nationalen Rettungsplan bedrohter Kulturgüter in den Archiven und Bibliotheken durchaus auch mal „mit leuchtenden Augen über die Bedeutung der Kultur für unsere Zukunft gesprochen“, wie Gesprächsteilnehmer im Schloss Bellevue berichteten. So prangerte er zum Beispiel bei der Wiedereröffnung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar das „regelrechte Bibliothekssterben“ in manchen Regionen Deutschlands an und forderte eine politische Kurskorrektur.

Auch einem enfant terrible der Kunst- und Kulturszene wie Christoph Schlingensief stand das Staatsoberhaupt hilfreich zur Seite, wenn sich die Aktivitäten des Theaterregisseurs mit seinem eigenen politischen Afrika-Engagement deckten. Am 9. Juni wollte Köhler daher sogar auf der geplanten Reise zur Eröffnung der Fußball-WM in Südafrika Station bei dem im Bau befindlichen „Operndorf“ Schlingensiefs in Burkina Faso machen.

Und bei der Eröffnung des Neubaus der vom Bund getragenen Berliner Akademie der Künste am Brandenburger Tor versicherte er den Künstlern, sie könnten im Bundespräsidenten „einen Verbündeten sehen“, was dem Akademiepräsidenten Klaus Staeck natürlich gefiel, der Köhler nach dem Rücktritt denn auch ein gewisses kulturpolitisches Engagement bescheinigte. „Er interessierte sich schon, aber er war ein eher stiller und wortkarger Präsident, aber doch auch eine ehrliche Haut, und das ist wohl das Schlimmste, was einem Politiker heutzutage passieren kann“, meinte Staeck jetzt im Deutschlandradio Kultur - dem Sender, der mit Köhler jenes verhängnisvolle Afghanistan-Interview geführt hat.

Die „ehrliche Haut“ kam allerdings manchmal auch eher zweischneidig zum Vorschein, wenn Köhler aus seinem Herzen keine Mördergrube machte und offen über seine Vorlieben im Theater sprach, was ihm zum Beispiel bei der Eröffnung des Schillerjahres 2005 einigen Ärger von Seiten mancher Theatermacher einbrachte. Köhler schwärmte für den ersten „Popstar der deutschen Kultur“, den er in Schiller sah, plädierte dann aber im Berliner Ensemble sehr zum Verdruss des anwesenden Hausherrn und Regisseurs Claus Peymann für möglichst werktreue Theaterinszenierungen. „Es hat gewiss eine Zeit lang einmal die Notwendigkeit gegeben, die Klassiker zu entstauben und zu problematisieren. Aber das heute immer noch fortzusetzen, erscheint mir wie der Ausweis einer neuen arroganten Spießigkeit. Ein ganzer Tell, ein ganzer Don Carlos! Das ist doch was!“

Deutliche Worte hatten viele Theatermacher gerade in letzter Zeit vom Staatsoberhaupt zu den drohenden drastischen Kultureinsparungen und sogar möglichen Theaterschließungen in den Ländern und Kommunen erwartet - diesmal vergeblich. Dabei hatte Köhler früher schon einmal davor gewarnt, in wirtschaftlich prekären Zeiten zuerst an der Kultur zu sparen. Aber jetzt war sein Wort dringender denn je gefragt, denn Kultur und also auch Theater ist doch, wie einer seiner Vorgänger es einmal formulierte, „so wichtig zum Leben wie das Atmen“.

Sicher auch die Literatur. „Sie werden in Ihrer Amtszeit keinen einzigen Roman mehr lesen, hatten politische Freunde dem ersten Kulturstaatsminister Michael Naumann (SPD) prophezeit – „und genauso kam es dann auch“, erinnerte sich der frühere Rowohlt-Verleger später, und ging nach zwei Jahren wieder aus dem Amt. Das könnte doch einem lese- und redefreudigen Mann wie Norbert Lammert nicht passieren, der als Kulturstaatsminister einmal im Gespräch war und dann Bundestagspräsident wurde - und jetzt als Kandidat für das höchste Amt im Staate in der Kulturszene durchaus willkommen wäre.

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