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Kyselak war hier!

Journal einer Fußwanderung durch Österreich

Von: MONIKA THEES - © Die Berliner Literaturkritik, 21.07.09

Er habe im Wirtshaus gewettet, innerhalb von drei Jahren im ganzen Land bei Jung und Alt bekannt zu sein, natürlich ohne ein Verbrechen zu begehen. So wird es berichtet, ob es stimmt, wissen wir nicht. Fest steht, im August 1825 bricht der 26-jährige Wiener Joseph Kyselak, bislang Registraturs-Accessist im k. k. Hofkammerarchiv, mit 15 Pfund schwerem Rucksack samt Flinte und in Begleitung seines Wolfshundes Duna, auf zu einer Fußreise durch Österreich, Bayern, Südtirol und Slowenien. Vier Monate durchstreift er die Alpen, vollbringt dabei sportliche Höchstleistungen, so eine Dachsteinbesteigung samt Gletscherquerung, lernt Land und Leute kennen, durchstöbert Burgruinen und einsame Gebirgsgegenden, nächtigt auf hoch gelegenen Sennhütten oder Gasthäusern zweifelhaften Rufs. Ein Fußgeher und Alleinreisender ist dieser junge Mann, ein einzelgängerischer Erkunder, den „romantische Ideen“ treiben, die Liebe zur Natur, Abenteuerlust und Wissbegier. Vielleicht auch ein Spleen oder die Vorgabe obig erwähnter Wette?

Egal wie, 1829 erscheinen die Teile eins und zwei von Kyselaks Reisenotizen, gedruckt bei Anton Pichler in Wien, ein Tagebuch mit touristischen (Erst-)Beschreibungen zahlreicher Ortschaften und landestypischer Besonderheiten, verfasst mit lockerer Feder, zuweilen schwärmerisch, dann auch sachlich-kühl oder gar spöttisch. Doch weder die literarische Qualität seiner „Skizzen“, die Originalität seiner Beschreibungen noch die kartografisch genauen Details und Beobachtungen machten Joseph Kyselak zu dem, was er innerhalb kurzer Zeit werden und bis heute bleiben sollte: ein umtriebiger k. k. Autogrammist, ein Urvater aller Sprayer und „street artists“, der erste österreichische Graffiti-Künstler, geboren 1799 als Sohn einer Beamtenfamilie in Wien, gestorben 1831 daselbst an der Cholera.

Was ihn zum Pinsel greifen lässt, verrät Kyselak seinen Lesern ebenso unscharf wie die tieferen Beweggründe seiner Fußwanderung (beruflicher Überdruss, Stadtflucht, Lebenskrise?), auch erwähnt er die (offiziell wohl gelittene) Namenskritzelei nur zweimal beiläufig in seinen „Skizzen“: Mit schwarzer Ölfarbe setzt der Burgen-, Ruinen- und Bergkletterer, groß leserlich in serifengeschmückten Versalien, sein Signet: I. KYSELAK. Er war da. Eine Schreibspur hinterlässt der 26-Jährige auf seinen Wanderwegen quer durch die habsburgischen Erblande, meist unbeobachtet angebracht und weithin sichtbar prangt an Kirchtürmen, Felswänden und Burgmauern ein stilisierter „tag“, das Markenzeichen seines Urhebers. An die 18 Signaturen sind nach neueren Erhebungen noch erhalten, darunter auf der Ruine Sixtenstein, in der Burg Klamm, auf Schloss Eichhorn, am Wehrturm von Perchtoldsheim.

Im Januar 2006 startete das von Gabriele Goffriller und Chico Klein initiierte Kyselak-Forschungsprojekt, als dessen Abschluss die Spielfilmdokumentation „Wenn sich’s tun ließ, schrieb er seinen Namen hin“ entstand. 2009 folgte die jetzt vorliegende, erste ungekürzte, von Frau Goffriller herausgegebene Wiederveröffentlichung der Kyselak’schen „Skizzen“, mit Anmerkungen und einem 44-seitigen Vorwort, das Erhellendes über das Leben des Reiseschriftstellers und einen Abriss der äußerst lebendigen Rezeption versammelt, die den so früh Verstorbenen weit über seine Lebzeiten hinaus zur Legende machen sollte. Kyselak – ein unsterbliches Phänomen, ein Banksy des Biedermeier, ein rätselhafter „Überall und Nirgends“.

So wenig sich über sein Leben sagen lässt - nach Abitur und abgebrochenem Philosophiestudium absolvierte er ein mehrjähriges Praktikum bei der Vitikalfonds-Kassen-Oberdirektion in Wien, war seit 1825 dauerbeurlaubt und aushäusig, nach der Österreich-Wanderung unterwegs in Ungarn, Italien, Preußen, Sachsen, Böhmen und Mähren -, so detail- und aufschlussreich sind seine Reiseaufzeichnungen: Hier reist kein weltabgewandter Schöngeist und Schwärmer, sondern ein aufmerksamer und durchaus aufgeweckter Zeitgenosse. Kein amtsstubentrockener Biedermann, eher ein an Natur, Landschaft und Leuten aufrichtig interessierter Feld- und Freiluftforscher, der anhand faltbarer (und teilweise streng der militärischen Nutzung vorbehaltener) topografischer Karten seine Tagesetappen vorausschauend plant, ein robustes Mannsbild, das an manchen Tagen gut 50 Kilometer erläuft und abends die schmerzenden Füße mit Birkenblättern kuriert.

Weit vor der touristischen Erschließung des Alpenraumes zeugen Kyselaks Reisenotizen von abgelegenen Routen, von Schönheit, Größe und sportiver Herausforderung des alpinen Hochgebirges - und vom Alltag und von den Lebensumständen in der Steiermark, in Kärnten, Tirol, im Berchtesgadener und Salzburger Land zu Beginn des 19. Jahrhunderts: ein traditionell agrarisch geprägtes, meist karges Leben mit und gegen die elementaren Urgewalten. Zwar ist die Natur, da verbleibt Joseph Kyselak ganz Kind seiner Zeit und gymnasialer Bildung, noch beseelt, ein Individuum (die Felsen zittern, Flüsse sind Najaden und Nymphen), doch auch schon Objekt empirischen und zunehmend gewerblich-industriellen Interesses (Holzwirtschaft, Bergbau, Salzgewinnung).

Wiederholt beklagt Kyselak den Raubbau an den Wäldern, der die Lawinengefahr begünstigt, schildert Not leidende Berglerfamilien, deren Männer als Wilddiebe Leben und Freiheit für ein Stück Gamsfleisch riskieren, das mitunter grassierende Bandenwesen, er berichtet von der „Kropfmode“ der Tiroler, ihrem Volks- und Freiheitshelden Andreas Hofer und von einem Dorf, in dem geistig Behinderte mehr vegetieren denn leben, doch sein Grundton bleibt heiter, hell, auch wenn dreiste Mitfahrende eines Nachts seinen für sieben bayrische Gulden erstandenen Ruderkahn stehlen, wenn während einer Flussfahrt das Fracht- und Passagierschiff in die Quere treibt und der geladene Kalk Feuer fängt.

Kyselak hätte, wäre die anfangs erwähnte Wette jemals abgeschlossen, diese leichtens und auf Dauer gewonnen: nicht nur als kurioser Zeitgenosse, Aus- und Quersteiger, sondern als Urahn aller heutigen Pflaster- und Mauerkünstler, als wagemutiger Burg- und Ruinenforscher, unerschrockener Alpinist und, die Neuauflage der lange Zeit vergriffenen „Skizzen“ beweist es, als origineller, seiner Wahrnehmung und Empfindung vertrauender Reiseschriftsteller des Biedermeier, der sich mit „weatherproof tags“ und Tintenfeder nach seinem „style“ einschrieb in Landschaft und Gedächtnis.

Literaturangabe:

KYSELAK, JOSEPH: Skizzen einer Fußreise durch Österreich. Hrsg. von Gabriele Goffriller u. mit einem Vorw. von Gabriele Goffriller und Chico Klein. Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2009. 480 S., 29,90 Euro.

Weblink:

Verlag Jung und Jung

Monika Thees ist Redakteurin dieses Literatur-Magazins


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