Noch vor acht Jahren wäre die Handlung einfach zu absurd: Terroristen entführen ein griechisches Fährschiff. Sie lassen nach einigen Tagen Frauen und Kinder frei und stellen dann ihre Forderungen: Keine weitere juristische Verfolgung vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag für Verbrechen während des Krieges in Ex-Jugoslawien. Mitten drin: Die Tochter eines Athener Kommissars und deren Verlobter, die auf dem Weg in den Urlaub waren.
Doch was vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA als unrealistisch gegolten hat, ist heute denkbar – auch als Krimihandlung in dem neuen Roman von Petros Markaris mit dem Titel „Der Großaktionär“ – ein Fall für Kommissar Kostas Charitos. Denn seit 9/11 ist noch mehr passiert: Es gab Terroranschläge auf Pendlerzüge in Madrid, in der Londoner U-Bahn verübten Terroristen ihr tödliches Werk. In der Stadt Beslan in Nordossetien nahmen Terroristen die Schulkinder einer ganzen Schule als Geiseln und sprengten nach tagelangem Nervenkrieg das Gebäude. Von griechisch-orthodoxen „Freiheitskämpfern“ auf Seiten der Serben im Bosnienkrieg dürften hingegen noch nicht viele gehört haben.
Neben dem Thema Terrorismus geht es in dem Buch zudem um Schwulsein in der griechischen Gesellschaft. Denn während Charitos’ Tochter Katharina als Geisel gehalten wird, muss ihr Vater stattdessen in Athen den Mord an dem homosexuellen Werbemodel Stelios Ifantidis aufklären. Bei den Zeugenbefragungen wird deutlich, dass es in dem südeuropäischen Land noch längst nicht selbstverständlich und ungefährlich ist, schwul zu sein. Der Vater des Opfers hat den Kontakt zu ihm abgebrochen und gilt lange als tatverdächtig. Sein Verhalten und das seiner männlichen Bekannten können als typisch betrachtet werden: anzügliche Bemerkungen und unverschämtes Grinsen gelten als angemessen. Anders verhalten sich ein Teil der jugendlichen Bekannten des Opfers und seine – weiblichen – Kommilitonen. Doch auch die greise Nachbarin geht mit dem Schwulsein des Ermordeten unverkrampft um. Kommissar Charitos stellt hingegen fest, dass es im Polizeikorps zwar eine ganze Menge Polizistinnen gebe, die kein Problem damit hätten, sich als Prostituierte auszugeben. „Es gibt hingegen keinen einzigen Polizeibeamten, der sich als Homosexueller ausgeben würde.“
Schön ist hingegen wieder mal die eine oder andere Liebeserklärung an die griechische Hauptstadt. Auf fast jeder Seite des Romans steckt Charitos im Verkehrsstau und flucht über das Chaos auf Athens Straßen. Doch unerwartet hat der Mann eine Erkenntnis: Weil er wegen Katharinas Entführung nicht schlafen kann, mäandert er durch die nächtliche Stadt und landet schließlich in einem Straßencafé. Dort erinnert er sich an einen Kollegen: „Die Athener, sagte er, leben den ganzen Tag in der Hölle, einzig und allein um nachts für ein paar Stunden im Paradies zu sein. Ein Jahrzehnt später und mit meiner Tochter in der Hand unbekannter Geiselnehmer an Bord einer entführten Fähre muss ich ihm recht geben.“
Die Ermittlungen um die Todesfälle – es kommt zu weiteren Morden in der Werbebranche – schleppen sich hingegen etwas dahin. Interessant sind die Ausflüge in die jüngere griechische Geschichte der Militärdiktatur. Doch die Verknüpfung mit der allgegenwärtigen Macht der Werbung in der griechischen Gesellschaft und wie ein ehemaliger Folterknecht mit der Waffe dagegen vorgehen will, ist dann doch etwas unglaubwürdig. Im Oktober 2008 ist das Buch als Audio-CD im Handel erhältlich. Die Taschenbuchausgabe erscheint im Verlag Diogenes im Januar 2009.
Literaturangaben:
MARKARIS, PETROS: Der Großaktionär. Ein Fall für Kostas Charitos. Roman. Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger. Diogenes Verlag, Zürich 2007. 480 S,. 21,90 €.
Verlag