Von Thomas Borchert
STOCKHOLM (BLK) – Ein Meter fünfzig klein, 42 Kilo leicht, sozial gehemmt, und doch für mächtige Verbrechersyndikate, große Geheimdienste, ausgefuchste Computerspezialisten, hemmungslos gewalttätige Väter und andere Männer mit finsteren Absichten schier unbesiegbar: Die schwedische Krimi-Heldin Lisbeth Salander hat es Lesern in aller Welt angetan. Auf Deutsch ist jetzt unter dem Titel „Vergebung“ (Heyne Verlag) auch der dritte und letzte Band von Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie erschienen. Hier muss sich die kleine, zähe und selbst gewalttätige Schwedin einer ganzen Verschwörung der russischen Mafia mit Stockholmer Regierungskreisen erwehren.
Mit seiner modernen und für manche vielleicht zu harten Krimi-Version von Pippi Langstrumpf hat Stieg Larsson im eigenen Land auch Harry Potter locker aus dem Feld geschlagen. 2,5 Millionen Exemplare der „Millennium“-Trilogie» sind in zweieinhalb Jahren über schwedische Ladentische gegangen, pro Band mehr als doppelt so viele wie beim englischen Jugendbuchhelden. Als der dritte Band im vorletzten Sommer herauskam, konnte man eigentlich kaum Badestrände, Straßencafés oder, falls man es in die Nähe eines solchen schaffte, Nachttische ohne den dicken Wälzer mit dem Originaltitel „Luftslottet som sprängdes“ („Das Luftschloss, das gesprengt wurde“) ausmachen.
Einig sind sich die Kritiker, dass vor allem die Wahnsinnsfigur Lisbeth Salander zum Wahnsinnserfolg von Larssons Krimis beigetragen hat. Der 2004 im Alter von 50 Jahren nach mehreren schweren Herzinfarkten gestorbene Autor sagte kurz vor seinem Tod und der Veröffentlichung des ersten Bandes in einem Interview: „Ich hab mir Pippi Langstrumpf vorgenommen. Wie wäre sie heutzutage? Wie könnte man sie sich als Erwachsene vorstellen? Wie würde man sie einstufen?“ Die Antwort gab er in einer Mail an seine Verlagslektorin Eva Gedin: „Sie ist ein sozialer Sonderling mit psychopathischen Zügen und funktioniert nicht wie normale Menschen.“
„Rache ist eine starke Triebkraft“, lässt Larsson die Heldin mit weltmeisterlichen Karatekräften, überirdischen Fähigkeiten als Computer-Hackerin und mathematischem Supergedächtnis philosophieren. So handelt sie dann auch, etwa indem sie ihrem Vater, einem sehr unangenehmen Zeitgenossen, den Schädel mit der Axt spaltet. Solche Amokläufe, garniert mit politisch korrekter Frauensicht einer von Männern beherrschten schwedischen Gesellschaft, gibt es häufig in der „Millennium“-Trilogie.
Selbst hat der gelernte Journalist Larsson bis zu seinem Tod auf nicht minder gefährliche Weise publizistisch gegen Neonazis in Schweden gekämpft. Larsson stand zusammen mit seiner Lebensgefährtin Eva Gabrielsson mehrfach auf Todeslisten von Rechtsextremisten. Beide richteten ihr Leben danach ein: Keine gemeinsamen Gänge zur Arbeit, in Lokalen immer nur Eckplätze und die Wohnung auf einer schwer zugänglichen Insel in den Stockholmer Schären.
Jan Guillou, von Larsson als erfolgreichster Krimi-Autor Schwedens entthront, machte sich mit einer Bemerkung über die Hintergründe des Konkurrenten-Erfolgs unbeliebt: „Es gibt eine unschlagbare Methode, sich literarisch ins Gespräch zu bringen. Indem man stirbt.“ Tatsächlich interessierten sich die Schweden mit den schnell steigenden Verkaufszahlen der Larsson-Krimis auch immer mehr für den toten Autor.
Ausführlich berichteten die Medien über ein hässliches Erbschaftsgerangel zwischen Larssons Vater und einem Bruder mit der Gefährtin Gabrielsson. Ihr fehlte für eigene Ansprüche ohne Trauschein auch nach mehr als 25 Jahren an der Seite Larssons die rechtliche Grundlage. Immerhin haben sich die Streitenden darauf geeinigt, der Versuchung zu weiteren Millionen-Einnahmen mit einem halbfertigen vierten Band aus Larssons hinterlassenem Laptop zu widerstehen. „Man stelle sich vor, jemand anders würde an einem halbfertigen Picasso weiter malen“, sagte Bruder Joakim Larsson.
Literaturangaben:
LARSSON, STIEG: Vergebung. Roman. Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn. Heyne Verlag, München 2008. 848 S., 22,95 €.
---: Verdammnis. Roman. Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn. Heyne Verlag, München 2007. 752 S., 22,95 €.
---: Verblendung. Roman. Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn. Heyne Verlag, München 2006. 688 S., 21,95 €.
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