Von ihnen ist derzeit dauernd die Rede. In Büchern, Artikeln und Vorträgen: Von den „Ausgeschlossenen“, wie der Soziologe Heinz Bude die gesellschaftlichen Randexistenzen in Deutschland kürzlich nannte. Doch sie selbst kommen nur selten zu Wort, obwohl ihre Zahl mittlerweile in die Millionen geht. Tendenz steigend. Daran wollte Bestsellergarant Jan Weiler etwas ändern, wenn auch nur fiktiv. In seinem neuesten Buch, das zeitgleich als Hörspiel erschienen ist, finden ein Architekt, ein Busfahrer, eine Sachbearbeiterin, ein Postbote und ein Muttersöhnchen auf spektakuläre Weise zur eigenen Sprache und schon bald zu einem medialen Sprachrohr. Allesamt sind sie ausgetickt, weil sie das Leben als Zumutung, ihre Umwelt als extrem störend empfunden haben. Allesamt also Fälle für die Psychiatrie: Der talentlose Architekt, weil er sich im Bayreuther Opernhaus eine Kugel in den Schädel jagen wollte. Der zivilisationsmüde Busfahrer, weil er die verhassten Fahrgäste auf eine außerplanmäßige Spritztour mitnahm. Die korpulente Sachbearbeiterin, weil sie nur noch Luft aß. Der eingeschüchterte Postbote, weil er in seiner Wohnung tonnenweise Briefe hortete und das Muttersöhnchen, weil es jahrelang mit seiner toten Mutter zusammen wohnte.
All diese Lebensläufe sind schon skurril genug. Doch es wird noch skurriler, als die „Fünf von der Klapse“ von einem Psychotherapeuten namens Dr. Zens in dessen Privatklinik geheilt werden sollen. Der stachelt sie zu Heilungszwecken nämlich ungewollt zur Entführung eines Managers an. Sodass es auf dem Höhepunkt dieser wahnwitzigen Groteske zu einem sozialkritischen Dialog zwischen dem erfolgreichen Banker und den erfolglosen „Irren“ kommt und der auf Drängen der Kidnapper auch noch bundesweit als Talkshow ausgestrahlt wird. Freilich wird ihnen dieser medienwirksame Vorstoß letztlich zum Verhängnis. Sie landen vor Gericht, aber immerhin ist der Raubtierkapitalist gezähmt. An den Verhältnissen ändert sich trotz des medialen Spektakels natürlich nichts.
Hoffentlich aber ändert sich etwas in den Köpfen der Zuhörer. Denn was Weiler in seiner Geschichte vom Aufstand der fünf Loser erzählt, hat mehr mit der Wirklichkeit zu tun, als wir zunächst glauben. Es sind nicht die abgefahrenen Typen und der abenteuerliche Menschenraub, die uns an Vergleichbares in der Gegenwart erinnern sollen. Nein, die schrägen Charaktere und der noch schrägere Plot sollen Aufmerksamkeit schaffen für die verborgenen Sorgen und Nöte der „Ausgeschlossenen“. Aber auch unsere Sinne schärfen für den medialen Umgang mit den Außenseitern unserer Gesellschaft. Denn fast jeder von uns kann jederzeit in die Hartz-IV-Gesellschaft abrutschen.
Wie gut aber, dass es Weiler gibt, der uns diese wenig frohe Botschaft mit subtiler Ironie vorträgt. In einem recht konventionell arrangierten Hörspiel, das vor allem durch seine geschliffenen Monologe und Dialoge und nicht durch experimentelle Special Effects besticht. Weilers leicht brüchige, aber sehr markante Stimme verleiht dem von ihm gesprochenen Architekten, aber auch der ganzen absurden Atmosphäre die nötige Komik und Tiefe. Dazu tragen freilich auch die anderen Sprecher und Schauspieler bei, denen dieses Projekt wohl genauso gut gefallen hat, wie es ihren Hörern gefallen wird. Und mag sein Gegenstand auch noch so bitter sein.
Von Jörg von Bilavsky
Literaturangaben:
WEILER, JAN: Drachensaat. Sprecher: Jan Weiler, Annette Frier, Matthias Haase u.v.a. Der Hörverlag, München 2008. 3 CDs, 240 Minuten, 19,95 €.
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