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Leben wie im Traum – Handkes Balkan-Monolog „Die morawische Nacht“

Am 6. Dezember 2007 wurde der österreichische Autor 65 Jahre alt

© Die Berliner Literaturkritik, 24.01.08

 

Von Miriam Bandar

FRANKFURT AM MAIN (BLK) – Wer kennt nicht das Gefühl, aus einem unruhigen Traum zu erwachen, in dem Freunde und Verwandte an realen Orten auftraten? In der Nachtgeschichte ergibt alles einen Sinn, doch nach dem Aufwachen bekommt man den Erzählstrang kaum noch zusammen. Menschen und Orte wirken plötzlich seltsam entfernt, dabei kamen sie einem eben noch so echt vor. Dieses Gefühl stellt sich auch bei Peter Handkes mehr als 550 Seiten umfassender Erzählung „Die morawische Nacht“ ein, die zum 65. Geburtstag (6. Dezember 2007) des ehemaligen jungen Wilden der Literaturszene erschienen ist. Darin streift Handke etliche Stationen seiner Vergangenheit. Es ist jedoch keine Biografie entstanden, sondern ein Leben wie im Traum.

Für die Rückschau hat ein alternder Autor sieben Freunde auf sein Haus- und Hotelboot gebeten. Es ist auf der Morawa, einem Nebenfluss der Donau auf dem Balkan, vertäut. Ein Hotel, dessen Name „Morawische Nacht“ in Leuchtschrift weithin zu lesen ist. Doch Zugang erhalten nur geladene Gäste. In einem fast endlos erscheinenden Monolog erzählt der Schriftsteller über seinen Werdegang. Dabei sind die Verbindungen zu Handkes Leben nicht zu übersehen: Angefangen von der kroatischen Insel Krk, auf der sich der gebürtige Österreicher verliebte und seinen ersten Roman „Die Hornissen“ verfasste, über die Heimat seines leiblichen Vaters im deutschen Harz bis hin zu seinem Kärntner Geburtshaus.

Bei der handlungsarmen, traumwandlerischen Erzählung spart der Einzelgänger Handke auch dunkle Kapitel seines Lebens nicht aus, etwa sein schwieriges Verhältnis zu Frauen, wo es auch zu Gewaltausbrüchen gekommen sein soll. Er war unter anderem mit den Schauspielerinnen Jeanne Moreau und Katja Flint liiert. Im Buch erzählt der Autor: „Aber schon hatte er sich auf sie gestürzt und auf sie eingeschlagen, einmal bloß, bloß?, so stark, daß sie stracks zu Boden fiel.“ Er lässt sie liegen, getrieben von einer Gefühlsmischung aus schlechtem Gewissen und Heldenmut.

Trotz eines zuweilen für Handke ungewöhnlich ironischen Tons, erinnert die „Morawische Nacht“ als lange Reise zu sich selbst an einigen Stellen an eine Lebensbeichte. Passend zu seinem 65. Geburtstag scheint Handke literarisch bei seinem Spätwerk angekommen. Der Österreichischen Nationalbibliothek verkaufte er kürzlich einen großen Teil seines Nachlasses zu Lebzeiten wie handschriftliche Werkmanuskripte und Notizen, das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar erhielt seine Tagebücher.

In einem Interview im vergangenen Sommer (2007) urteilte der einstige Literaturrebell über das Alter: „Ja man fühlt sich … Wie heißt das? Befristet. Das Alter macht doch zunehmend Bedenken. Ich weiß nicht, ob das so heiter wird, wie ich es mir vorgestellt habe.“ Ist das Leben ein Traum oder sind Träume das wirkliche Leben? In Handkes jüngstem Buch heißt es: „Zeit seines Lebens hatte der Autor über Nacht an einem Buch geschrieben. Und über Nacht auch hatte er es jeweils beendet. Bloß war das Buch dann am Morgen nicht mehr da.“ Die „Morawische Nacht“ allerdings ist nun wirklich erschienen.

Literaturangaben:
HANDKE, PETER: Die morawische Nacht. Erzählung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 561 S., 24 €.

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