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Lebendige Bücher

Uni Oldenburg erhält Jaspers-Bibliothek

© Die Berliner Literaturkritik, 23.11.09

Von Irena Güttel

OLDENBURG (BLK) - Karl Jaspers liegt entspannt auf seinem Lesesofa, um ihn herum reihen sich tausende Bücher in meterhohen Regalen. So zeigt ein altes Schwarz-Weiß-Foto den 1969 gestorbenen Philosophen in seiner Baseler Wohnung. Seit einigen Wochen türmen sich seine Bücher meterhoch in der Universität in Oldenburg, der Geburtsstadt des großen Denkers. Verpackt in weißen Umzugskartons warten die fast 11.000 Bände dort auf ihre Katalogisierung. Anschließend soll die gesamte Bibliothek in das geplante Karl Jaspers-Haus ziehen, eine Villa in der niedersächsischen Stadt.

„Wir entdecken täglich Überraschungen“, schwärmt der Direktor der Universitätsbibliothek, Hans-Joachim Wätjen. Viele Bücher enthalten Randbemerkungen mit Bleistift, Unterstreichungen oder sogar kleine Notizzettel. „Man kann den Büchern ansehen, wie Karl Jaspers mit ihnen gearbeitet hat. Das macht den Wert der Bibliothek aus.“

Bis Oktober stand die umfangreiche Sammlung in der Wohnung von Jaspers letztem Privatsekretär und Biografen Hans Saner, der sie nach dem Tod von Jaspers Frau Gertrud 1974 geerbt hatte. „Ihm war es ein Anliegen, dass die Bibliothek nach seinem Tod als ein Ganzes erhalten bleibt“, erläutert Wätjen. Deshalb habe der 74-Jährige beschlossen, sie an die Uni zu verkaufen. Über den Kaufpreis bewahrt die Hochschule Stillschweigen, an den Kosten beteiligten sich die Stiftung Niedersachsen und die EWE Stiftung.

Zwei Lieferungen waren nötig, um die Bibliothek von Basel nach Oldenburg zu bringen. „Jaspers' Haus war vollgestopft mit Büchern“, erzählt Wätjen. Seine Sammlung umfasst medizinische, psychologische und philosophische Werke, die sich von der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit spannen. Saner mietete sogar eine zweite Wohnung, um sie alle unterbringen zu können - und zwar genauso wie Jaspers sie sortiert hatte. Dennoch reichte der Platz nicht. „Die Bücher waren in der Küche, im Schlafzimmer, im Keller, sie waren überall“, sagt Wätjen. Genauso wie sie dort in den Regalen standen, ließ die Universität die Bücher einpacken und in dieser Reihenfolge sollen sie auch katalogisiert werden.

Drei Angestellte sind seit vorletzter Woche damit beschäftigt, jeden einzelnen Band im Computer zu erfassen. Außerdem vermerken sie, ob die Bücher Unterstreichungen und Notizen enthalten. Zettel oder Zeitungsartikel, die in ihnen liegen, werden gescannt. „Jedes Buch ist anders“, erläutert Edelgard Brau. „In ihnen ist echtes Leben.“ Gerade haben sie und ihre Kollegin in einem eine Postkarte gefunden, die Gertrud Jaspers aus Belgien an eine Madame Betty Gottschalk in Märkisch Friedland geschickt hatte. Sie zeigt die Zeichnung eines Widders, der Text bleibt für Außenstehende poetisch-rätselhaft.

Einige der Bücher tragen außerdem Widmungen. So schrieb die Jaspers-Schülerin Hannah Arendt 1955 in ihr „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“: „Für Jaspers in Dankbarkeit und Verehrung, heute wie vor dreißig Jahren. Und für seine Frau, in Liebe und ein bisschen Angst.“ All das können Forscher künftig im Internet-Katalog nachlesen, der eine Art virtueller Rundgang durch Jaspers' private Bibliothek darstellen soll.

Ein realistischer Rundgang wird voraussichtlich von Mitte nächsten Jahres an im Karl Jaspers-Haus möglich sein. Dort wollen Wätjen und seine Mitarbeiter die Sammlung 1:1 aufbauen. Auch das frühere Arbeitszimmer des Philosophen soll zu sehen sein, dessen Einrichtung Saner der Hochschule vermachte. Darunter sind unter anderem Jaspers' Schreibtisch, sein Füllfederhalter, Stempel und die Schreibmaschine, auf der Gertrud seine Notizen abtippte. Das wohl eindruckvollste Stück ist eine Pappschachtel mit sechs Zyankali-Ampullen aus Jaspers' Heidelberger Zeit. Diese wollten er und seine jüdische Frau benutzen, falls die Gestapo sie verhaftet hätte.

Anhand von Jaspers' Bibliothek wollen Forscher aus Oldenburg, Heidelberg, Graz und Basel eine kritische Gesamtausgabe seines Werks schaffen. Geplant sind 50 Bände.


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