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Leonardo da Vincis Blick auf die Welt

„Da Vincis Vermächtnis oder Wie Leonardo die Welt neu erfand“

© Die Berliner Literaturkritik, 17.11.08

 

Von Rudolf Grimm

Leonardo da Vinci kennen die meisten Menschen als den Maler der „Mona Lisa“, die in Paris im Louvre jährlich mehr als fünf Millionen Besucher anzieht. Bei Umfragen nach dem bekanntesten Kunstwerk nennen mehr als 85 Prozent das Bild dieser nur durchschnittlich attraktiven Florentinerin mit dem als unergründlich empfundenen Lächeln. Über ihre Wirkung ist viel gerätselt worden. Der Wissenschaftsautor Stefan Klein versteht sie in seinem jetzt vorgelegten Buch über Leonardo im Zusammenhang mit dessen intensivem Interesse an der Wahrnehmung natürlicher Phänomene. Erst Leonardos Wissen von den Geheimnissen der menschlichen Natur befähigte ihn nach Kleins Deutung, virtuos mit den Zügen dieser Frau und den Gefühlen von Betrachtern zu spielen.

Das Buch ist keine Künstlerbiografie. Vielmehr geht es darum, Leonardo, 1452 unehelich geborener Sohn des Notars Ser Piero in der Kleinstadt Vinci bei Florenz und einer Bauerntochter, gleichsam von innen her kennenzulernen. Eine wichtige, vielleicht die wahre Bedeutung seines Schaffens ist erst in unserer Zeit deutlich geworden, als Forscher sich seine Hinterlassenschaft erneut vornahmen. Außer 21 Gemälden hinterließ er auch an die 10.000 Blätter mit Zeichnungen und Skizzen, wovon leider fast die Hälfte verlorengegangen ist, und Notizbücher. Dieses Material zeigt: Leonardo war mehr als ein herausragender Künstler – er erforschte die Welt und erfand sie neu.

Schon seine frühen Zeichnungen als technischer Berater des Mailänder Herzogs Ludovico Sforza zeigen, dass er sich mit der Wirklichkeit beschäftigte, um praktische Probleme zu lösen. Beim Malen des lebensnahen Porträts der Mona Lisa wendete er später seine in langen Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse über die Gesetze des Sehens an. Hier im Dienste Sforzas ging es um die Mechanik von Strömungen und Schleusen. Das Wasser wurde damals zu seinem Lebensthema.

Zurück in Florenz kamen die Strömungen der Luft und die Kräfte von fliegenden Körpern hinzu. Dem „Traum vom Fliegen“ gilt ein Buchkapitel. Auf dem nahen Monte Ceceri studierte Leonardo die Windverhältnisse. Zwar ist kein Flugversuch dokumentiert, doch Notizbücher bezeugen Vorbereitungen dafür. Er zeichnete Fluggeräte, skizzierte Vogelschwingen, künstliche Flügel, Auftriebsmechanismen. Die Wissenschaft trug damals so gut wie nichts zum Thema bei.

Kaum minder als die Flugidee beseelte Leonardo die Hoffnung, dass Maschinen den Menschen einmal auch sehr komplizierte Tätigkeiten abnehmen. Ebenso wie der Mechanismus von Technischem interessierte ihn auch der des menschlichen Körpers – besonders nachdem das Florentiner Krankenhaus Santa Maria Nuova ihm seine Leichenkammern geöffnet hatte. Dort untersuchte er Leiche um Leiche und kam zu erstaunlichen Einsichten über die Funktionsweise des Körpers.

Ein nicht geringer Teil seiner Hinterlassenschaft sind Entwürfe von Kriegsmitteln. In seinem Bewerbungsschreiben 1482 an Ludovico Sforza hatte er ihm die Konstruktion von Waffen versprochen. Auf hunderten Seiten zeichnete er dann in Mailand riesige Armbrüste, Schnellfeuergewehre und Anlagen zur Bombardierung von Festungen. Als Festangestellter war er nicht mehr darauf angewiesen, seine Kunst auf dem Markt zu verkaufen. So konnte er anderen Interessen nachgehen und seine Malerei perfektionieren. Das Thema Waffen war für ihn wohl auch Teil seiner Technikfaszination.

Krieg war ebenfalls der Hintergrund, als Leonardo später in den Dienst des in Mittelitalien Eroberungskriege führenden Cesare Borgia trat, Sohn des berüchtigten Papstes Alexander VI. Im Zuge von Cesare Borgias Plan, Imola möglicherweise zur Hauptstadt seines künftigen Reichs umzugestalten, entstand von Leonardos Hand der erste Stadtplan überhaupt – ein grafisches Meisterwerk. Mit ihm eröffnete er so etwas wie eine neue Sicht auf die Welt. Der Betrachter sieht Imola wie aus einem Flugzeug aus großer Höhe.

Zur Authentizität und Anschaulichkeit des Buchs haben die Reisen des Autors auf Leonardos Spuren beigetragen. Er war an fast allen Stätten, an denen er zugange war und es Beziehungen zu ihm gibt. Er war sogar in Minnesota (USA), wo sich ein gewisser Mark Rosheim in Kenntnis von Leonardos Notizbüchern mit ihm als „Pionier der Roboter und Computer“ beschäftigt.

Rückblickend auf das Leben des Meisters erwähnt Klein, dass dieser keine Nachkommen hatte. So weit bekannt, habe ihn „Sex“ nicht besonders interessiert, und wenn, dann schien er eher Männern als Frauen zugetan. So blieb ihm als Triumph über die Vergänglichkeit nur der Ruhm.

Literaturangaben:
KLEIN, STEFAN: Da Vincis Vermächtnis oder Wie Leonardo die Welt neu erfand. S. Fischer, Frankfurt am Main 2008. 336 S. mit Abb., 18,90 €.

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