Leonore Gottschalk-Solger hat sicher ein interessantes und erfülltes Leben gehabt. Sie wurde 1936 in Oberschlesien geboren, ihre Familie flüchtete während des Zweiten Weltkrieges nach Niedersachsen. In der jungen Bundesrepublik war sie eine der wenigen Frauen, die Jura studierten und danach auch als Juristin arbeiteten. Sie wurde Strafverteidigerin und begann von Kiezgrößen über Mörder bis hin zu Terroristen und Steuerflüchtlingen alles zu verteidigen. Einerseits gehört das zu ihrer Arbeit als Strafverteidigerin. Andererseits war sie so auch in sehr viele der wichtigen Prozesse der Bundesrepublik, ob RAF, Rotlicht oder High Society, verwickelt. Von Kollegen wird dabei ihr Arbeitsethos gelobt. Sie kennt die Akten. Sie setzt sich für ihre Klienten ein. Sie ist fair und sie ist rhetorisch brillant.
Das sind auf dem Papier die besten Voraussetzungen, um aus einem Leben eine spannende Biografie zu machen. Leonore Gottschalk-Solger hat das jetzt, zusammen mit Co-Autorin Anke Gebert, in „Die Strafverteidigerin. Erinnerungen“ versucht. Allerdings erstaunlich erfolglos. Denn das Buch liest sich über weite Strecken wie der gelungene Versuch, alles das, was über Leonore Gottschalk-Solger gesagt wird, Lügen zu strafen.
Das Buch ist sogar eine Mogelpackung. Nach der Verfasserangabe auf dem Cover ist anzunehmen, dass Gottschalk-Solger ihre Erinnerungen selbst aufgeschrieben hat und sie dann von Anke Gebert stilistisch überarbeiten ließ. Es wäre auch möglich, dass die beiden Frauen sich für gemeinsame Gespräche getroffen haben und Gebert dann als Ghostwriterin fungierte. Beides wäre möglich, ist üblich und auch keinesfalls verwerflich. Aber Gottschalk-Solger spricht während des gesamten Buches von sich in der dritten Person. Meistens sogar, was schnell nervt, mit ihrem vollen Namen. Allein das ist schon irritierend, könnte aber noch als besonders distanzierte Haltung zu sich selbst ausgelegt werden.
Wenn aber eine namentlich nicht genannte Person in Gefängnissen mehrere von Gottschalk-Solgers verurteilten Mandanten besucht, einer dieser Inhaftierten dieser Person erzählt, dass er seine Anwältin seit seiner Verurteilung nicht mehr gesehen habe, und die Besucherin (es ist offensichtlich Anke Gebert) sagt, sie werde es Gottschalk-Solger sagen, dann ist die Autorenschaft von Gottschalk-Solger, ungeachtet der Widmung, ein reiner Etikettenschwindel. Denn anstatt einfach und ehrlich Anke Geberts Namen groß auf den Umschlag zu drucken und das Ganze als autorisierte Biografie zu veröffentlichen, wird der Käufer schon auf dem Umschlag belogen.
Danach wird es nicht besser. Denn Gebert findet nur einen sehr oberflächlichen Zugang zu der Strafverteidigerin und keine Haltung zur Porträtierten. Anstatt, zum Beispiel, anhand Gottschalk-Solgers Leben und, vor allem, ihrer Arbeit eine alternative Geschichte der Bundesrepublik zu erzählen, erschöpft sie sich im episodischen Abhandeln von beliebigen Gerichtsverhandlungen. Meistens werden die Fälle auf wenigen Seiten in einer bräsigen Mischung aus Presseerklärung der Staatsanwaltschaft und Zeitungsartikel zusammengefasst und immer wieder wird betont, was für eine tolle Frau und Verteidigerin Gottschalk-Solger doch sei. Doch davon ist, weil ihre Arbeit im Gerichtssaal und ihre Plädoyers von Gebert penibel ausgeblendet werden, in dem Buch nichts zu lesen. Alles, was über Gottschalk-Solger gesagt wird, bleibt bloße Behauptung. Die lobhudelnden Statements ihrer Familie, ihrer Freunde und Arbeitskollegen sind letztendlich, wie viel zu vieles in dem Werk, redundant.
Schon die erste Seite ist ein Meisterwerk an unsinnigen Wiederholungen. In der ersten Zeile steht „2. Juli 2008—Landgericht Itzehoe—letzter Verhandlungstag“. In der nächsten Zeile schreibt Gebert grammatikalisch grenzwertig: „Itzehoe in Schleswig-Holstein. Das Landgericht, ein heller, freundlicher Neubau, in dessen Eingangsbereich Kunst präsentiert wird.“ In der sechsten Zeile wird zum zweiten Mal darauf hingewiesen, dass heute „der letzte Verhandlungstag im sogenannten Apfelfest-Bomber-Prozess“ sei. Das ist angesichts der Überschrift „Das Plädoyer im ‚Apfelfest-Bomber-Prozess’“ keine neue Information und sogar Leser mit einer atemberaubend kurzen Aufmerksamkeitsspanne dürften hier sträflich unterfordert werden. Später wird es nicht besser. Wenn, zum Beispiel, auf den Seiten 29 bis 32 die Bild-Reporterin Anja Wieberneit die Strafverteidigerin lobt und auf Seite 33 Wieberneits Meinung, die wir gerade gelesen haben, von Gebert zitiert wird.
So wird aus einem eigentlich schmalen Buch sehr schnell eine zähe Lektüre.
Literaturangabe:
GOTTSCHALK-SOLGER, LEONORE / GEBERT, ANKE: Die Strafverteidigerin. Erinnerungen. Kindler Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009. 256 S., 19,90 €.
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