Marco Gerhards
Es kommt auch nicht allzu oft vor, dass ein Buch, das vor mathematischen Formeln und Rechnungen nur so strotzt und nebenbei noch eine würzige Prise muslimischen Missionarscharakter beinhaltet, ein solcher, zugegebenermaßen verdienter, Erfolg zuteil wird. „Beremis Welt“ aber hat dies geschafft; eine Erzählung von einem einfachen Hirtenjungen, dessen besondere Gabe mathematische Fähigkeiten sind, wie schnelles Kombinieren, Zählen, Teilen oder Abstrahieren. Dadurch schafft er es, Streitfälle zu schlichten und Anerkennung zu gewinnen, was ja auch nicht Wunder nimmt, wenn man damit verfeindeten Parteien bei der gerechten Verteilung von Gütern weiterhilft und so zum Rechenkünstlermeister von Bagdad wird.
Die arithmetischen Etappen, die der fiktive Held in dieser Geschichte absolvieren muss, überzeugen aber nicht nur die handelnden Personen und Auftraggeber im Buch, sondern fordern auch die Leser zu kombinatorischen Höchstleistungen hinaus. Das magische Quadrat, das auf die Interessierten wartet, wird ja nicht einfach gelesen, wie man Literatur normalerweise goutiert, sondern muss verstanden und integriert werden. Und das macht den besonderen didaktischen Reiz aus. Es ist ein bisschen so wie bei „Sophies Welt“, nur besser, denn statt philosophischer Langatmigkeit warten hier Zahlenverständnis und das spannende Gefühl, dass es sich bei der Mathematik seit jeher um eine göttliche Wissenschaft handeln muss. Man frage nur einmal die Phytagoreer.
Geschrieben wurde das Buch von Júlio César de Mello e Souza, der aus Brasilien stammte und, wen wundert’s, dort als Mathematikprofessor seiner Aufgabe nachging und nebenbei mehrere Bücher zu eben jenem Thema verfasste. Der fiktive Autorenname Malba Tahan, den sich Cesar gab, ist ein reichlich ausgestattetes Kunstprodukt, das eine eigene Biographie vorzuweisen hat und der dieses Werk im Jahre 1329 verfasste – allerdings nach muslimischer Zeitrechnung. In der uns bekannten Zählweise ist dies das Jahr 1903 gewesen. Der Brasilianer Cesar wurde sieben Jahre vorher geboren und wer weiß, wem er mit dieser Reminiszenz eine Aufwartung machen wollte. Erstmals veröffentlicht wurde das Buch in seinem Heimatland nämlich erst 1949. Seitdem aber hat es sich, kalendarische Unklarheiten hin oder her, über zwei Millionen Mal verkauft, die Neuausgabe bei Kein & Aber wird der Gesamtauflage noch einige weitere dazu bescheren.
Wer „Tausendundeine Nacht“ liebt, das Schillernde, das Anregende, das Mythische und das Religiöse, der ist hier bestens bedient. Wer nicht nur Schmökern, sondern auch Lernen möchte, ebenfalls. Und wer verstanden hat, das die Zahlen göttliche Qualität besitzen, dass Rhythmen der Natur sich zwar in Gleichungen aufmalen lassen, aber immer die staunende Unermesslichkeit des Daseins beinhalten, der hat entweder dieses Buch gelesen oder bei Menschen wie Johannes Kepler, dem Begründer der Weltharmonik, besonders gut aufgepasst.
Paulo Coelho bedankt sich einleitend für die Inspirationen, die in sein berühmtes Werk „Der Alchimist“ eingeflossen sind. Dem kann man sich bedenkenlos anschließen, auch wenn nicht jeder einen Weltbestseller danach schreiben wird. Eine neue Welt entdecken dürfte aber jedem gelingen.
Literaturangabe:
TAHAN, MALBA: Beremís’ Welt. Reise durch das Universum der Mathematik. Kein & Aber Verlag, Zürich 2009. 320 S., 19,90 €.
Weblink: Kein & Aber