Von Roland H. Wiegenstein
Man stelle sich einen auf einen akademischen Beruf von den Höheren Schulen nicht eben gut vorbereiteten, mit Facebook, Twitter und Google hingegen wohl vertrauten jungen Menschen vor, der beschließt, Germanistik zu studieren. Weil er doch immer gern gelesen hat, weil er Lehrer oder Journalist werden will, oder weil ihm vorderhand kein anderes Studium einfällt: ein erster Blick in die universitäre Präsenzbibliothek des Fachbereichs könnte ihn angesichts so vieler Bücher zur Verzweiflung treiben. All ihnen kann geholfen werden durch die in loser Folge erscheinenden „Studienbücher“ des Akademie Verlags, die versprechen, erste Schneisen in den Wissensberg zu schlagen.
Etwa das von Walter Delabar, selbst Universitätsprofessor, in der Sparte „Literaturwissenschaft“ über die „Deutschsprachige Literatur 1918-1933“. Es ist kurz und bündig, enthält einen brauchbaren Apparat (bis hin zu den unvermeidlichen „Links“) und macht mit den wichtigsten Strömungen in der Literatur dieser kurzen Epoche bekannt. Delabar bindet sie an die gesellschaftlichen Entwicklungen (und Verwerfungen) der Zeit an, behandelt die von ihm ausgewählten Protagonisten mit gebotener Präzision und Kenntnis.
Das gewählte Verfahren einer Literatursoziologie entkommt natürlich nicht der Falle, Autoren vornehmlich als Belegexemplare für die „Strömungen“ der Zeit zu wählen, auch wenn er bei einigen Schriftstellern (etwa Döblin, Rilke, Thomas Mann, Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Marieluise Fleißer und ein paar anderen) erste, vorläufige Werkinterpretationen einfügt, die über die gebotene sozialgeschichtliche Einordnung hinaus auch formale, stilistische Fragen behandeln. Damit lässt sich anfangen – und etwas anfangen, zumal der Professor es versteht, die intendierte Didaktik nicht an bloßes Lexikon-Wissen zu verraten.
Delabar setzt weit verbreitete Vorurteile außer Kraft, scheut keine qualitative Einschätzung und wer die knapp über 200 Seiten studiert hat, der kann getrost beginnen, die Texte selbst zu lesen. Falls er sie schon kennt, wird er womöglich auf für ihn Neues hingewiesen und darauf, was man fürs Studium beachten sollte.
Delabar hat ein nützliches Buch geschrieben. Manche der heute ungenießbaren Autoren (wie etwa Waggerl) mögen wirklich nur noch als zeittypische Literatur wissenschaftlich bearbeitbar sein, dass sie damals wichtig waren, ist kaum zu bezweifeln. Bei anderen hat man das dringende Bedürfnis, sie näher kennen zu lernen, zumal man sie nun besser einordnen kann.
Literaturangabe:
DELABAR, WALTER: Klassische Moderne, Deutschsprachige Literatur 1918-1933, Akademie Verlag, Berlin 2010, 255 Seiten, broschiert, 19,8o €.
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