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Liebe gegen alle Konventionen

Neun Erzählungen des englischen Schriftstellers E.M. Forster

© Die Berliner Literaturkritik, 04.01.10

Von Angelo Algieri

Sexualität hat nach Ansicht von E. M. Forster verhindert, dass er ein berühmterer Autor geworden ist. E(dward) M(organ) Forster, geboren am 1. Januar 1879 in London und am 7. Juni 1970 in Coventry gestorben, war homosexuell. Mit „A Passage To India“ („Auf der Suche nach Indien“) veröffentlichte er im Jahr 1924 seinen letzten Roman. In seinen noch bleibenden 46 Jahren widmete er sich Buchbesprechungen und schrieb Essays, wie zum Beispiel „Aspects of the Novel“ („Ansichten des Romans“).

Zu seinen Lebzeiten erschienen u. a. sein wohl bekanntester Roman „A Room with a View“ („Zimmer mit Aussicht“), der 1986 vom Film-Regisseur James Ivory kongenial umgesetzt und mit drei Oscars prämiert worden ist. Doch Forster hat noch viele weitere Romane und Erzählungen geschrieben, die er aufgrund ihrer homosexuellen Inhalte nicht veröffentlichte. So erschienen posthum 1971 der Roman „Maurice“ („Maurice“) und wenig später einige Erzählbände.

Eine dieser Erzählsammlungen, „Das künftige Leben“, ist nun im Hamburger Männerschwarm Verlag erschienen. Darin sind neun Erzählungen enthalten, wobei vier von ihnen erstmals von Christine Wunnicke ins Deutsche übersetzt worden sind: die  Erzählungen „Arthur Snatchfold“, „Der Antikflügel“, „Spielt das denn eine Rolle?“ und „Die Geschichte einer Panik“. Sieben der neun hier versammelten Erzählungen entstammen der posthum im Jahr 1972 erschienen englischen Sammlung „Life to Come“ und zwei dem Band „The Celestial Omnibus“, der zu Lebzeiten Forsters 1914 veröffentlicht wurde.

Allen Erzählungen haben die schwule Liebe als Kernthema, wobei Forster es meisterhaft versteht, sie mit anderen Themen zu verweben – wie die Liebe zwischen Männern aus unterschiedlichen sozialen Klassen, aus unterschiedlichen Völkern oder auch die Liebe  zwischen religiösen Bekehrern und Bekehrten. So beschreibt die Erzählung „Das andere Schiff“ etwa die Liebe eines englischen Offiziers zu einem indisch-englischen Mischling, während in „Das künftige Leben“ die Liebe zwischen einem Pfarrer und einem bekehrten Indianer erzählt wird und in „Arthur Snatchfold“ die Affäre zwischen einem Geschäftsmann und einem jungen Milchmann im Mittelpunkt steht.

So schön traumhaft diese Geschichten auch sein könnten, so erotisch sie teilweise auch aufgeladen sind, so abgründig und tragisch enden sie meist. In der besagten Erzählung „Das andere Schiff“ scheint die Liebe zwischen einem Hauptmann, der aus der englischen Mittelschicht stammt, und einem indisch-englischen Mischling zunächst zukunftsträchtig. Die zwei Männer kennen sich bereits aus der Kindheit und treffen sich Jahre später auf einem Schiff nach Indien wieder. Jedoch erhält der englische Offizier nur eine Kabine, die er mit dem Mischling teilen muss – was im spätviktorianischen England eine Ungeheuerlichkeit war. Alles Nichtenglische wurde verachtet, Nichteuropäer wurden zu Menschen zweiter oder gar dritter Klasse herabgestuft.

Dennoch entwickelt sich zwischen diesen beiden eine Affäre, die auf der Überfahrt teils paradiesische (schwule) Zustände erzeugt. Sex, Champagner und Leidenschaft kommen in dieser Erzählung nicht zu kurz. Man möchte beim Lesen einfach dahinschmelzen. Wären da nicht die sozialen Konventionen, die es dieser Liebe unmöglich machen, weiterzuexistieren. Es geht sogar soweit, dass der englische Jungoffizier den Mischling in einem Wahnsinnsrausch umbringt und anschließend selbst von Bord springt und so umkommt.

Neben den sozialen Konventionen, die Forster aufzeigt, kommt in der Erzählung „Arthur Snatchfold“ auch eine juristische Dimension hinzu. Der Geschäftsmann Conway hat, als er bei einem Kollegen zu Besuch war, mit dem jungen Milchmann Arthur Snatchfold eine kurze morgendliche Affäre im großen Garten des Landhauses. Monate später erfährt Conway, dass diese Affäre nicht unentdeckt blieb und Snatchfold daraufhin zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden ist. Conway blieb jedoch unentdeckt und konnte seine Karriere fortsetzen, weil Snatchfold sich für ihn aufgeopfert hat.

Doch nicht alle Erzählungen enden traurig oder tragisch. So erheitert die phantastische Erzählung „Spielt das denn eine Rolle?“ zutiefst. Ein verheirateter Präsident eines fiktiven  Landes beginnt mit einem sportlichen, jungen Gendarmen eine kurze Affäre. Sie werden von der Frau des Präsidenten in flagranti erwischt. Zudem sieht sich der Präsident als Opfer einer Intrige vom Polizeichef des Landes, der die ganze Affäre geplant hat. Doch entgegen den Erwartungen des Intriganten kommt es nicht zu einem politischen Skandal. Der Präsident macht seine homo- und heterosexuellen Affären publik, woraufhin die umliegenden Staaten zwar die diplomatischen Beziehungen abbrechen und das Land isoliert wird – doch am Ende geht es der Bevölkerung, wie man hört, ziemlich gut.

In der Sammlung zeigt sich so eine große Bandbreite des Erzählers E. M. Forster – von realistischen Erzählungen über magischen Realismus zu absurden Geschichten und absurde phantastische Erzählung mit utopischem Charakter, wie die zuletzt erwähnte. Auch wenn einige vorliegende Erzählungen anfangs kitschig wirken mit ihren breit angelegten Beschreibungen oder dem amourösen Schmelz, so nehmen sie immer eine beeindruckende ernste Wendung. Die Erzählungen spielen auf verschiedenen Ebenen und das macht diese Erzählungen zu atemberaubender Literatur.

Ein großes Lob gebührt auch der Übersetzerin Christine Wunnicke, die den Erzählungen eine runde und rhythmische Sprache gegeben hat. Die übrigen Übersetzungen sind nicht minder gelungen, doch merkt man ihnen an, dass sie aus den letzten Jahrzehnten stammen und hier und da einige Wörter nicht ganz treffend oder bereits„gebraucht“ sind. Schade, dass auf eine ganz von Wunnicke vorgenommene Neuübersetzung verzichtet worden ist.

Dennoch: Dieser Erzählband, der vom Verleger Joachim Bartholomae treffend zusammengestellt wurde, beinhaltet Erzählungen, die den großen Romanen E. M. Forsters in nichts nachstehen. Im Gegenteil, sie machen als Einstiegslektüre Appetit auf die großartigen Romane. Auch wenn Bartholomae in seinem Nachwort richtigerweise bedauert, dass Forster diese aus homosexueller Sicht ermunternden Erzählungen nicht zu seinen Lebzeiten veröffentlichte, können sie gegenwärtig als Vorbild dienen. Denn selbst in Deutschland sind homosexuelle Vorbehalte und Diskriminierung weiterhin an der Tagesordnung. So ist es auch aus dieser zeitlosen Sicht sehr empfehlenswert, Forster (wieder) zu entdecken!

Literaturangabe:

FORSTER, E.M.: Das künftige Leben. Erzählungen. Aus dem Englischen von Christine Wunnicke, Nils-Henning von Hugo, Manfred Ohl und Hans Satorius. Männerschwarm Verlag, Hamburg 2009. 205 S., 18 €.

 Weblink:

Männerschwarm Verlag

 

 


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