Von Armin Steigenberger
Hier lieben sich zwei. Ein männliches Ich, ein weibliches Du – das ist vermutlich der älteste Topos überhaupt: in Michael Basses Neuerscheinung erfreuen wir uns an 42 Liebesgedichten, in denen es nicht nur um Liebe geht.
Liebe geht durch den Äther: skype connected ist der fünfte Gedichtband des Münchner Dichters und Übersetzers. Michael Basse ist 1957 in Bad Salzuflen/NRW geboren und ist hauptsächlich für den Hörfunk tätig.
Der Band beginnt schwärmerisch: „Tagmöndin / und mitternachtssonne / jede auf ihrem meridian / asymmetrie der geschlechter“ – es scheint, als dürfe im wundervollen Bild der „Tagmöndin“ mit dem Gegenüber einer „Mitternachtssonne“ jegliche Restromantik noch einmal förmlich ausglühen. Zwei, die ihren eigenen Rhythmus haben und sich gegenseitig als Sonne und Mond anhimmeln; zwei, die gleichsam in ihrem eigenen Universum unterwegs sind. Die Metapher von weiblichem Mond und männlicher Sonne gewinnt hier neue Inhalte. Gleichzeitig wird im selben Text davor gewarnt, dass auch eine Menschheit vorstellbar ist, in der die Menschen in genetischer Hinsicht gleich (-geschaltet) sind: „noch planen sie uns nicht“ – Romantik meets Klonzeitalter?
Zwei, die sich lieben: das sind zwei, die miteinander die urbane Wohnung teilen und sich auch mal tageweise an“grrr“ollen; zwei, die sich miteinander Gedanken machen, ihre „Diskussionskultur“ pflegen, im „thinktank“ regelmäßig politisieren, sich über den Fortgang der Welt ihre Sorgen machen und generell ihre zivilisatorische Skepsis hegen; „zwei ergrauende kinder / beim denken“ – ein schönes Bild. Basse zeichnet die reife Liebe zweier Menschen, die sich am Morgen ihre Träume mitteilen, um so nachzuträumen, was der andere geträumt hat; zwei, die mitunter alles in Frage stellen, was man überhaupt in Frage stellen kann. Wer meint, Liebe sei etwas zwischen zwei Herzen und ginge allenfalls durch den Magen, der kann hier studieren, wie sehr Liebe auch durch den Geist gehen kann.
Obgleich, wie es der Klappentext ausdrückt, die Liebenden dieser Texte „keine weltabgewandt in einander Versunkenen“ sind (und sein wollen), mutet es dennoch ungewohnt an, dass selbst im Entrücktsein der Liebe immer noch reflektiert wird: in jenem „Dichterhimmel“ der Zweisamkeit wird „tò phónema“ – die Stimme des unbelebten Himmels – erkannt, anderswo das Schöne, „tò kalón“, in altgriechischen Lettern besungen. Dabei schimmern hinter Basses Gedichten wie durch Pergament viele andere bekannte Texte hindurch. Häufig fließen Zitate ein; in einigen Texten wird ein Spiel damit getrieben. So klingen beim Thema Schönheit zweimal Rilkes Duineser Elegien an. Wo es um Engel geht, werden Motive aus Rafael Albertis Gedichtzyklus Sobre los ángeles berührt. Bei der Stelle „dein silbernes haar“ könnte man Celans Todesfuge heraushören. Bekannte Namen fallen zuhauf – im Text „Siegergeschichte“ wird das Namedropping auf die Spitze getrieben: mit „hernandez / neruda alberti eluard / ehrenburg hikmet ritsos & brecht“ fliegen einem die Dichternamen nur so um die Ohren. Dennoch sind die Anspielungen und Erwähnungen auch stille, würdevolle Hommagen.
Basses Dichtungen sind zu weiten Teilen hochrhythmisch, folgen aber keiner bewusst gesetzten Metrik. Sprachlich gesehen glitzert der Gedichtband in allen möglichen Idiomen und Sprachebenen. Belebt von Zitaten in alten und neuen Sprachen kommt immer wieder in ausgesuchten Worten, die stellenweise ein wenig prätentiös wirken, der poeta doctus zu Wort; auf der anderen Seite der Skala finden sich lässige Sentenzen, neben flapsiger Umgangssprache auch krachertes Bayerisch und lautmalerische Einschübe. Insgesamt ist die Sprache knapp gehalten, die Texte sind eher kurz, lakonisch; manches wirkt wie eine Reprise von längst Gesagtem. Die Gedichte bekommen gerade durch die Verschneidung verschiedenster Sprachwelten einen ganz eigenen Reiz. Dennoch kommt das, was gesagt werden will, ohne jedes Mäandermuster in einem sehr eigenen, schlanken und meist zurückhaltendem Tonfall zu Wort.
Auf der einen Seite steht die „grrr“ollend-animalische Seite des Menschen: ein „menschenzoo“ mit Bildern von Löwe, Gorilla und hölderlinschem „jakal“. Auf der anderen Seite steht das vormals Göttliche: nebst Aphrodite, Artemis und Apoll der „katzengott von memphis“, die „Tagmöndin“, die Engel mitsamt ihren „epiphanien“. Dazwischen der Mensch, weder das eine noch das andere: „wir sind dem menschenzoo entkommen“, heißt es in „Abgesang auf eine bohème die es nie gab“.
Das Gegenüber des lyrischen Ich ist klar und traditionell weiblich. Das lyrische Wir – das sich automatisch aus Ich und Du zusammenfügt – ist nicht nur ein klassischer, sondern auch immer schon ein hochpolitischer Topos, weil damit ein inzwischen stark relativiertes gesellschaftlich verbindliches Muster über das größte erreichbare Glück zu zweien erneut beglaubigt wird. Heutzutage ist das männlich-weibliche Wir längst nicht mehr allgemeinverbindlich. Spannend ist hierbei der Widerspruch, dass gerade auf dem Hintergrund des sozialrevolutionären Gestus, der in einigen Gedichten leise aber hörbar mitschwingt, ein solch traditionell-partnerschaftlich angelegtes Wir als Gegengewicht umso deutlicher aufscheint. Dieses männlich-weibliche Wir mit jungen und aufgeklärten Akzenten glaubhaft neu zu beleben gelingt dem Autor sehr gut. Basses Texte gehen dabei über eine bloß schwärmerische, verklärende Anrufung einer Partnerin weit hinaus. „Ich“ und „Du“ und Wir“ wird permanent hinterfragt: immer wird dahinter auch die soziopolitische Relevanz eines solchen Wir sichtbar. „ich ist ein anderes du“: dieses „totem“ und „tabu“, wie es im zweiten Gedicht des Bandes formuliert wird, ist These und Erkenntnis zugleich, aus der Perspektive des Gegenübers gesehen. Das Du ist nah und gleichzeitig fremd: „noch gilt mein erster mein letzter gedanke / dem anderen fremden in dir“.
Einige Texte in „skype connected“ würden wohl separat nicht als Liebesgedichte durchgehen, geben aber dieser Sammlung als „Liebesbrevier“ gerade ihre spezielle Färbung. Die Gedichte spielen mit ihren klassischen Sujets, den Engeln, den Göttinnen und Göttern und geben in diesem Brevier – einem (Stunden-) Gebetsbuch katholischer Geistlicher – eine pikante, an Foucault geschulte blasphemische Note. Basses Liebesgedichte verharren in ihren Bildwelten nicht im hochspeziellen authentischen Miteinander zweier Liebender, sondern treffen stets einen Ton der Allgemeingültigkeit. Obwohl sie keine Idylle lobsingen, zeigen sie dennoch ihre Sehnsüchte.
Der Süden ist wiederkehrendes Thema: „nach süden / wohin sonst“ tendiert man, „der nacht entgegen / dem süden / dem meer“: der Süden, diffuser Mythos und Klischee zugleich, Synonym für eine bessere (lebenswertere?) Welt, wird nach und nach verortet als „partenope“ (Neapel); im letzten Text des Buches „In cortona“, dem furiosen Finale, wird der toskanische Ort Schauplatz einer neuen Selbstgeburt angesichts der eigenen Vergänglichkeit, wo sich das lyrische Ich neu entdeckt. Da fließt alles in eins: die wiedererwachte Lust, der Schmerz, die Trauer um die eigene Vergänglichkeit; Todesangst wird fast verächtlich belächelt – ein faszinierender Text.
Hier lieben sich zwei: Wenn Liebe überhaupt evident sein kann, dann in Basses „skype connected“. Liebe, das unbekannte Etwas, das ganz ätherisch auch zwischen den Zeilen schwebt. Zuletzt werden die ineinander Verliebten selbst ätherisch: „in hundert jahren werden wir schweben / schwereloser sternenstaub / tanzende eiskristalle / keiner ist vor uns sicher“.
Literaturangabe:
BASSE, MICHAEL: skype connected – ein Liebesbrevier. Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2010. 67 S., 15 €.
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