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Liebe in Zeiten der Reformagenda – Kurbjuweits „Nicht die ganze Wahrheit“

Dirk Kurbjuweit ist Leiter des „Spiegel“-Hauptstadtbüros und weiß, wie die Berliner Republik funktioniert

Von: HOLGER BÖTHLING - © Die Berliner Literaturkritik, 11.07.08

 

Politik und Fiktion – das geht in Deutschland eigentlich nicht zusammen. Während der US-Präsident eine etablierte Figur in Hollywoods Unterhaltungsindustrie ist, hat sich der deutsche Bundeskanzler bislang selten als Filmheld hervorgetan. Das gilt fürs Kino, das gilt fürs Fernsehen. Die TV-Serie „West Wing“, die den Alltag im Weißen Haus zeigt, hat in den USA Preise abgeräumt und Quotenrekorde gebrochen. Die deutsche Adaption „Kanzleramt“ wurde vor drei Jahren von der Kritik hoch gelobt – und von den Fernsehzuschauern ignoriert.

Nicht besser steht es um die literarische Tradition. Wenn überhaupt, werden die Mühen des demokratischen Prozesses in deutschen Romanen seit Wolfgang Koeppens „Das Treibhaus“ als unerbittlicher Apparat dargestellt, der Idealisten zerreibt: Politik als ein ernstes, ein zynisches Geschäft. Außer Abscheu hält der Blick von außen dann für „die da oben“ höchstens noch eine (eher zweifelhafte) Bewunderung ihres Machtinstinkts bereit.

Das ist zum Teil auch in Dirk Kurbjuweits „Nicht die ganze Wahrheit“ so. Kurbjuweit ist Leiter des „Spiegel“-Hauptstadtbüros und weiß, wie die Berliner Republik funktioniert. Sein Blick auf die Mechanismen der Macht ist jedoch nüchtern-abgeklärt, nicht moralisierend. Ihm geht es nicht darum, den Politikbetrieb und die Menschen darin zu verteufeln. Er tut stattdessen etwas, das sich nur wenige Autoren trauen: Er vermischt Politik mit Unterhaltung.

„Nicht die ganze Wahrheit“ ist ein Liebesroman, der vor politischer Kulisse spielt. Der Privatdetektiv Arthur Koenen wird von der Frau Leonard Schilfs, der Partei- und Fraktionsvorsitzender einer Regierungspartei ist, beauftragt. Er soll herausfinden, ob Schilf eine Geliebte hat. Erst nach einigen Mühen gelingt es Koenen, Schilfs Verhältnis mit der jungen Abgeordneten Anna Tauert aufzudecken. An diesem Punkt fängt der Roman jedoch erst an. Was folgt, ist ein rasanter Ritt durch das (Liebes-)Leben von Berufspolitikern.

So ist die Affäre von Leo und Anna zunächst politisch pikant: Schilf will mit seinem Kanzler eine Reformagenda durchsetzen. Seine Geliebte Anna gehört jedoch zu den Parteirebellen, die dagegen sind – und somit die Kanzlermehrheit bedrohen. Wem das bekannt vorkommt: Das „Setting“ gleicht tatsächlich dem des Jahres 2003, als Rot-Grün die Hartz-IV-Reformen verabschiedete. Auch Kurbjuweits Kanzler erinnert stark an Gerhard Schröder, und der Außenminister heißt sogar Fischer. Doch geht es in dem Roman nicht um eine politische Bilanz von Rot-Grün. Es geht um die Möglichkeiten von Privatheit in der Politik. Und das ist hochspannend.

Kurbjuweits großes Thema ist die Heimlichkeit: die des Detektivs, die der Liebesaffäre, aber eben auch die der Politik allgemein. Anna und Leo können sich nur im Fahrstuhl des Jakob-Kaiser-Hauses, wo beide ihr Abgeordnetenbüro haben, ungestört für wenige Augenblicke zum Knutschen treffen. Ansonsten beschränkt sich ihr Verhältnis auf einen intensiven E-Mail-Verkehr, aus dem der Erzähler ausgiebig zitiert, und wenige Verabredungen. Ihr ganzes Politikerleben ist ein Versteckspiel. Bloß nicht zuviel von sich preisgeben, dem politischen Gegner und der Boulevardpresse keine Angriffsfläche bieten, lautet die Devise. Das gilt natürlich besonders für ihre Affäre.

Als Hauptstadtjournalist weiß Kurbjuweit, dass Politiker nichts lieber tun, als ihr wahres Gesicht, ihre wahren Gedanken zu verheimlichen. Da Politiker so versiert im Täuschen und Tricksen sind, hat auch sein Erzähler Koenen große Probleme, Anna und Leo auf die Schliche zu kommen. Es ist bezeichnend, dass der Detektiv fast alles, was er über die Beziehung der beiden erfährt, aus deren privatem E-Mailverkehr speist. An diesen ist er jedoch nur durch einen Einbruch – und damit durch Überschreitung der ihm vom Gesetz zugebilligten Kompetenzen – gelangt.

Man merkt Kurbjuweit in „Nicht die ganze Wahrheit“ das Vergnügen an, als Autor und damit Herrscher über seine Fiktion den Politikern endlich einmal die Maske herunterreißen zu dürfen, die er als Journalist so oft präsentiert bekommt. Was er in seinen „Spiegel“-Reportagen nur andeuten kann, darf er hier weiterspinnen, mit persönlichen Motiven und Kontexten anreichern. Dabei verrät er seine Figuren nicht. Kurbjuweit zeigt – was in der Literatur selten ist – durchaus Verständnis für die Sorgen und Nöte der Spitzenpolitiker. Sein Buch zeichnet ein raffiniertes Bild des Innenlebens dieser Machtmenschen. Ein kluger, romantischer Liebesroman ist es dazu. Hoffnungslos – das zeigt das furiose Finale – ist die Liebe nie. Selbst für Politiker nicht.

Literaturangaben:
KURBJUWEIT, DIRK: Nicht die ganze Wahrheit. Roman. Nagel & Kimche, München 2008. 224 S., 19,90 €.

Verlag

Holger Böthling arbeitet als freier Journalist und Buchkritiker in Berlin


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