Von Susanna Gilbert-Sättele
Es ist die Silvesternacht zum Neuen Jahrtausend. Die spanische Ärztin Montserrat, kurz Montse, schiebt freiwillig Dienst im Krankenhaus. Besser als Alleinsein, besser als über die gescheiterte Ehe mit Alberto nachdenken zu müssen und den erst kurz zurückliegenden Unfalltod der gemeinsamen Tochter. Eine Marokkanerin wird eingeliefert und stirbt. In ihren Habseligkeiten findet Montse eine Fotografie, auf der ein Mann im Burnus, dem weiten Kapuzenmantel der Nordafrikaner zu sehen ist. In ihm glaubt Montse ihren seit 30 Jahren totgeglaubten Geliebten Santiago zu erkennen.
In kunstvollen Wechseln zwischen den 70er Jahren und der Gegenwart enthüllt der Spanier Luis Leante in seinem neuen Roman „Liebst Du mich“ die tragische Liebes- und Lebensgeschichte eines ungleichen Paares: Die gerade 18-jährige Montse stammt aus einer alten Akademikerfamilie und stand kurz vor dem Beginn ihres Medizinstudiums in Barcelona, als sie Santiago, den kleinen Automechaniker aus ärmlichen Verhältnissen, kennenlernt. Gegen den Widerstand der Familie beginnt Montse eine leidenschaftliche Affäre mit ihm, bis sie sich von ihm hintergangen fühlt und ihn verlässt.
Es sind die Jahre, in der das Franco-Regime am Boden liegt, umso mehr verteidigt es seine letzte Kolonie, die Westsahara. Enttäuscht von Montse meldet sich Santiago zu den Legionären und verschwindet aus ihrem Leben. Später hört sie, dass er 1975 bei einem Angriff der Marokkaner irgendwo in den Weiten der Sahara ums Leben gekommen sein soll. Jene Entdeckung in der Silvesternacht ändert für Montse alles. Und so macht sie sich auf in die Westsahara, um ihre Jugendliebe wieder zu finden.
Leantes Geschichte ist nicht nur ein an „Romeo und Julia“ erinnerndes Liebesepos, sondern schildert auch eindringlich und wie nebenbei den verzweifelten Kampf der Ureinwohner der Westsahara, der „Saharaui“, um ihre Unabhängigkeit. Ein Aufbäumen, das bis heute andauert und doch in Vergessenheit geriet: zuerst gegen die spanischen Kolonialherren, dann gegen die Marokkaner und Mauretanier. Mit Betroffenheit verfolgt der Leser, wie verächtlich die spanischen Kolonialisten die Einheimischen behandelten, ihr herrisches Auftreten, ihre Grausamkeiten. Wie Leante dies in seine Liebesgeschichte einbettet, ganz ohne Pathos oder Moralinsäure, ist überaus gelungen.
Leante bringt dem Leser auch die umwerfende Landschaft und die Menschen der Sahara nah – ihren Stolz, ihre Anmut, ihren unbändigen Freiheitswillen, ihre Fähigkeit, auch unter schwierigsten Lebensbedingungen zu überleben. In diesem Volk geht Santiago auf, er heiratet eine Saharaui, kämpft für ihre Sache, wird einer von ihnen. Doch dann wird er bei einem Napalmangriff der Marokkaner so schwer verletzt, dass er halb irre, entstellt und verstümmelt ein Leben auf der Straße fristen muss. Am Ende des Buches ist es eine kleine Melodie aus der gemeinsamen Geschichte des Liebespaares von einst, das die Vergangenheit und die Gegenwart zusammenführt. Das Buch erinnert sehr an den „Englischen Patienten“ und scheint wie Michael Ondaatjes Werk geradezu prädestiniert zu sein für eine Verfilmung.
Leante, Luis: Liebst Du mich. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 300 S., 19,95 €.