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Liebe zum Gegenidol? – Margret Boveri und Ernst Jünger

Der Briefwechsel aus den Jahren 1946 bis 1973

© Die Berliner Literaturkritik, 01.09.08

 

Noch zu Lebzeiten Ernst Jüngers begann der Verlag Klett-Cotta, der Jüngers Gesamtwerk betreut, mit der Veröffentlichung seiner Korrespondenzen. Bislang erschienen die Briefwechsel mit Rudolf Schlichter (1997), Carl Schmitt (1999), Gerhard Nebel (2003), Friedrich Hielscher (2005), Gottfried Benn (2006), Stefan Andres (2007) und Martin Heidegger (2008). Der Briefwechsel mit der Journalistin Margret Boveri (1900-1975), die seit Ende der zwanziger Jahre ihren Hauptwohnsitz in Berlin hatte, ist nun, abgesehen von der Korrespondenz mit Alfred Kubin, der schon 1975 bei Propyläen erschienen war, der erste, der von einem anderen Verlag publiziert wird, und zwar dem jungen Berliner Landt Verlag, der auch Boveris Amerikafibel neu aufgelegt hat und dessen Bücher sich durch eine besonders schöne Gestaltung auszeichnen.

Die Bedeutung Margret Boveris für Jünger verdeutlicht sich darin, dass weder Helmuth Kiesel noch Heimo Schwilk sie in ihren Jünger-Biografien erwähnen. Andererseits gehörte der Briefwechsel mit Jünger bei Weitem nicht zu den umfangreichsten, die Boveri geführt hat. Von den 85 zwischen ihnen ausgetauschten Briefen wurden 47 von Boveri und 25 von Jünger geschrieben. Die Art ihrer Beziehung wird durch die gegenseitige Anrede in den ersten Jahren veranschaulicht: Boveri eröffnete ihre Briefe mit einem „Sehr verehrter“, Jünger entgegnete meist mit einem „Sehr geehrte“ – womit ihr Verhältnis auf die lakonischste Weise zum Ausdruck gebracht ist.

Boveri stand Jünger und seinen Werken aufgrund ihrer Erziehung in einem liberal-demokratischen Elternhaus sehr distanziert gegenüber. Ende der dreißiger Jahre wandelten sich aber ihre politischen Anschauungen. Während der Kriegsjahre, die sie in den USA und dann in Lissabon und Madrid verbrachte, wurde Jünger für sie zu einem „Propheten der ‚Gebliebenen‘“, wie ihre Biografin Heike Görtemaker schreibt. Boveris Schriften nach 1945 zeigen dann sowohl eine inhaltliche als auch sprachliche Beeinflussung durch Jünger.

Eine sehr gute Entscheidung der Herausgeber ist es gewesen, in einem Anhang alle Rezensionen Boveris aufzunehmen, die sie über Bücher Jüngers zwischen 1947 und 1960 – beziehungsweise 1975 – vor allem für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und den „Merkur“ geschrieben hat. Bezeichnenderweise vergingen fünfzehn Jahre, ehe Boveri sich wenige Monate vor ihrem Tode noch einmal in einer Besprechung Ernst Jünger widmete.

Ihre ersten, anonymen Besprechungen waren noch zurückhaltend. Doch schon das Bild des Schiffes in Jüngers „Waldgang“ und die Qualität seines Romans „Heliopolis“ wurden von ihr kritisiert. Sie schrieb Jünger eine „Theologie des Leidens“ zu und meinte, der Schmerz sei „die Konstante in Jüngers Werk“. Da er so intensive Erfahrungen mit dem Grausamen und Schrecklichen gemacht habe, bedürfe er in besonderem Maße einer Selbsttröstung, die er sich mit seiner „Sicht über die Linie“ und den „Gang in den Wald“ verschafft habe. Weder mit dem „Sanduhrbuch“ noch mit dem „Sarazenenturm“ und der in ihnen sich ausdrückenden Weltsicht habe Jünger eine Umkehr oder eine Abwendung von früheren Positionen vollzogen.

Mit Jüngers Erzählungen und Romanen, mit dem meditativen „Besuch auf Godenholm“, den fortschrittsskeptischen „Gläsernen Bienen“ und dem utopischen Entwurf „Heliopolis“ konnte Boveri wenig anfangen: Einzelne Gedanken und Episoden fesselten sie, doch Gestaltung und Komposition überzeugten sie nicht, weil sie ihr „zu artistisch“ – oder auch „zu dürftig“ – vorkamen. Ende der fünfziger Jahre charakterisierte sie Jünger als einen zwar nicht liberalen, aber unvoreingenommenen Autor, „der die innere Würde hat, frühere Irrtümer zu erkennen, ohne sich ihrer – als eines Teils des Menschseins – zu schämen“.

Im Sommer 1946 hatte sie dem von ihr so geschätzten Autor, der ihr „ein neues Sehen beigebracht“ habe, einen längeren Brief geschrieben und ihm ihre Amerikafibel gesandt. Sie wollte „am liebsten täglich einen fast kultischen Lob- und Dankgesang an Sie anstimmen“. Jünger antwortete freundlich, doch zurückhaltend. Diese Art des brieflichen Auf-sich-aufmerksam-Machens war für Boveri nicht untypisch: Auch mit Gottfried Benn und Carl Schmitt nahm sie auf ähnliche Weise Kontakt auf. Offenbar fühlte sie sich dem Konservativismus dieser Denker und Dichter verbunden und hoffte, sich mit ihnen über die politische Situation austauschen zu können: In den ersten Nachkriegsjahren und während der Frühzeit der Bundesrepublik war sie eine Gegnerin der Westintegration und der Politik Adenauers.

Im März 1950 besuchte sie Ernst Jünger in Ravensburg. Da es ihr eine altvertraute Gewohnheit war, über alles, was ihr bedeutsam und interessant erschien, Rundbriefe für ihre Freunde anzufertigen, verfasste sie auch über ihre – erste und einzige – Begegnung mit Jünger einen solchen: In eigenwilliger Mischung bringt er Anerkennendes, Kritisches, Bewunderndes und Ablehnendes zum Ausdruck, und er enthält auch Bemerkungen über Eindrücke, die man vielleicht nicht einmal im eigenen Kopf herumreichen sollte – , und er kann kaum als Beleg für Boveris Taktgefühl gelten.

Zweifellos war der Besuch Boveris für Jünger und seine Familie nicht so unangenehm oder desillusionierend wie für sie – einfach deshalb, weil die Familie Jünger gar keine Erwartungen mit ihm verknüpfte. Umso erstaunter war man im Hause Jünger über ihren Rundbrief. Womöglich hätte man dort nie etwas von diesem Rundbrief erfahren, wenn Boveri nicht bezüglich einer Publikation angefragt hätte. Armin Mohler, der damals Jüngers Sekretär war, schrieb in seiner sehr freundlichen Antwort, dass Gretha Jüngers Reaktion auf Boveris Rundbrief gelautet habe: „O Gott, kann man denn kein Wort mehr sprechen, das nicht gleich für die Nachwelt mitstenographiert wird?“

Und er führte erklärend aus: „Wenn aber Privatleben nur noch im allerengsten Familienkreis möglich ist, so führt das zum ‚Audienz-System‘: E. J. zeigt sich dann nur noch unter bestimmten Vorsichtsmaßnahmen und der Klagen über seine Steife und sich selbst feiernde Art wird dann kein Ende mehr sein. […] Ich bin erstaunt, daß Sie in undiplomatischer Weise Dinge weitergegeben haben, die als Hinweis unter vier Augen gedacht waren. […] Mißverstehen Sie mich nicht: es geht uns nicht darum, in elisabethförsterschem Stile ein süßkonfektioniertes offizielles Jüngerbild zu züchten.“ Boveri, die Jünger weder als eitel noch als Selbstdarsteller empfunden hatte, gab ganz ehrlich zu, dass es wohl „eine uneingestandene perverse Eitelkeit“ gewesen war, die sie eine Veröffentlichung ihres Rundbriefes erwägen ließ.

Boveris Ergebenheit wurde für einige Zeit sogar noch größer, um dann in ein Verhältnis der großen Achtung und ebensolchen Respekts überzugehen. Obwohl sie es war, die sich nicht an die vorab erbetene Diskretion über ihren Besuch gehalten hatte, beschrieb sie ihr Gefühl gegenüber Jünger danach als eines des „bürgerlichen Gern-Habens“ und nicht mehr als eines der Verehrung oder Bewunderung. Dafür, so die Herausgeber, gewann der Briefwechsel zwischen ihnen an „Gelassenheit“. Erst im März 1954, nach vier Jahren, schrieb Jünger wieder einen Brief an Boveri, auch wenn er ihr schon Ende 1951 eine seiner Schriften als Weihnachtsgabe zugesandt hatte. Seit 1956 leiteten beide ihre Briefe mit der Anrede „Lieber“ beziehungsweise „Liebe“ ein.

In den folgenden Jahren tauschten sie sich über ihre Lektüren und Buchprojekte aus, und Boveri berichtete hin und wieder über persönliche Belange. Sogar Ansätze zu gegenseitiger Kritik finden sich. Gleichwohl forderten sie sich seit den sechziger Jahren wiederholt – und vergeblich – zu gegenseitigen Besuchen auf. Ende 1961 kam es zu einer erneuten Irritation Jüngers über ein Zitat aus dem Rundbrief Boveris, das er aber offenbar nicht als solches erkannte. Für Boveri verloren die Schriften Jüngers, so die Herausgeber, allmählich ihre Maßstab stiftende Verbindlichkeit, was allein aus ihren Briefen – wie ergänzt werden sollte – aber nicht unbedingt herausgelesen werden kann.

Jüngers „Zwille“ schließlich wollte Boveri nicht mehr besprechen, weil ihr Jüngers fiktive Erzählungen und sein Sinn für das Symbolische fremd waren. Aber ihre letzte publizierte und Jünger betreffende Rezension aus ihrem Todesjahr war eine distanzierte Würdigung, in der sie sich erinnerte, „mit welcher Bewunderung und Dankbarkeit wir, als sie erschienen waren, die ‚Marmorklippen‘ gelesen haben“.

Ist ein besonders kritischer Blick erlaubt, wenn eine Ausgabe gleich von drei Herausgebern verantwortet wird? Dass sie die alte und unzutreffende Behauptung wiederholen, Jünger sei im Herbst 1944 wegen „Wehrunwürdigkeit“ aus der Wehrmacht entlassen worden, irritiert umso mehr, als sie die Biografien Kiesels und Schwilks immerhin in einer Anmerkung nennen und sich im Kommentar mehrfach auf die Darstellung von Steffen Martus berufen, der dies auch schon richtiggestellt hatte. Bei zwei Briefen weisen die Herausgeber nicht darauf hin, dass sie auch in Jüngers Tagebuch „Siebzig verweht I“ in leicht gekürzter Form und mit verändertem Wortlaut zu finden sind. Sehr gut aber ist der Abdruck ergänzender Passagen aus unveröffentlichten Briefen Boveris an Paul Scheffer und Armin Mohler und Jüngers an Niekisch in dem – fast völlig fehlerfreien – Kommentarteil.

Nicht allen Formulierungen der Herausgeber in ihrem Vorwort wird man zustimmen können (wie überhaupt das Vorwort von Professor Berbig zu dem von ihm mitherausgegebenen Briefwechsel zwischen Boveri und Benn sehr viel besser ist). Auch scheinen sie die Bedeutung dieses Briefwechsels zur Verdeutlichung der Licht- und Schattenseiten des „deutschen Konservatismus in der Nachkriegsära“ ein wenig zu überschätzen. Meines Erachtens macht er vielmehr klar, wie sehr Jüngers Welterfassung und politische Deutungen von einer philosophischen, „transzendierenden“ und „überparteilichen“ Art waren, als dass sie sich mit den viel stärker auf das Aktuelle bezogenen Ansichten Boveris hätten berühren oder verbinden können. So bezeugt ihr Briefwechsel eher das Trennende.

Das Vorwort erweckt den Eindruck, als brächten die Herausgeber Margret Boveri das größere Verständnis entgegen. Ihre Bedeutung sehen sie vor allem darin, dass sie – im Gegensatz zu Jünger – ihre eigene Lebensgeschichte in Frage gestellt habe. Dabei war sie es, die Jünger zugutegehalten hatte, dass er sich zwar gewandelt, aber keine Umkehr vollzogen und auch nicht widerrufen habe. In den Augen der Herausgeber hätte ihn aber wohl genau das erst zu einem wirklich akzeptablen Autor werden lassen.

Jünger hat sich der Korrespondenz mit Boveri insgesamt nur halbherzig gewidmet. Zu einem Austausch, in dessen Verlauf ein Thema intensiver und mit einem von beiden geteilten, großen Interesse besprochen worden wäre, kam es nicht. Möglicherweise hatte dies auch zwischenmenschliche Gründe: Margret Boveri war eine herbe Erscheinung. Gottfried Benn, der sie sehr schätzte, beschrieb sie in einem Brief von 1949 mit den Worten: „gross, dick, Hornbrille, männlich, aber klug“. Dennoch sind Benns Briefe an Boveri kontaktfreudiger und offenherziger als diejenigen Jüngers.

Angesichts der bösartigen Angriffe auf Jünger – 1947 wurde beispielsweise von Heinz Seydel „ein literarisches Nürnberg“ gefordert – prophezeite Boveri: „In hundert Jahren wird man sich darüber schlüssig sein, wer in unserem Jahrhundert etwas getaugt hat, wer nicht.“ So weit ist es noch nicht. Vorerst werden Jüngers Gegner, die ihm hoffentlich treu bleiben, genug in dem Band finden, um ihn weiterhin nur kneistend wahrnehmen zu können. Für andere wird der Briefwechsel von Boveri und Jünger nicht nur den Wunsch wecken, sich intensiver mit ihnen zu beschäftigen, sondern auch weitere solcher sehr ansprechend edierten Korrespondenzen zu lesen – , und die Hoffnung, dass endlich Jüngers Briefjournale und der Briefwechsel mit seinem Bruder Friedrich Georg veröffentlicht werden, die vielleicht die interessantesten von allen sein könnten.

Jüngers Freunde sollten also gelassen bleiben und bedenken, dass die Menschen ihre Idole ebenso benötigen wie ihre Gegenbilder. Wie hatte Jünger einst mit spürbarem Verdruss an Margret Boveri geschrieben: „Die Leute ziehen eine Größe aus ihrer Zeit und deren Eros wie einen Fisch aus dem Wasser und freuen sich darüber, daß sie zu stinken beginnt.“

Von Andreas R. Klose

Mehr von Siegfried Woldheks Arbeit unter www.woldhek.com

Literaturangaben:
BOVERI, MARGRET / JÜNGER, ERNST: Briefwechsel aus den Jahren 1946 bis 1973. Herausgegeben, mit einem Vorwort versehen und kommentiert von Roland Berbig, Tobias Bock und Walter Kühn. Landt Verlag, Berlin 2008. 334 S., 34,90 €.

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