Als Tom Kummer im Jahr 2000 seinen Job verlor, weil er dem Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ Fake-Interviews als echt verkauft hatte, war das Geschrei groß. Kummer selbst hob entschuldigend die Hände, sagte, er habe experimentiert, und nannte seinen unverhohlenen Beschiss zu allem Überfluss auch noch eine Form des New Journalism. Er hätte natürlich auch recherchieren können. Aber dazu hatte er wohl entweder keine Lust oder er war nicht wirklich an seinem Gegenüber interessiert – das er nie getroffen hatte.
Hätte Kummer sich die Arbeit gemacht oder wäre an einem Gespräch interessiert gewesen, dann wäre vielleicht etwas ähnlich Großes herausgekommen wie Max Dax’ „Dreißig Gespräche“, die Anfang Dezember im Suhrkamp Verlag erschienen sind. Der Spex-Chefredakteur trifft Koryphäen der (Pop-) Kultur zum Gespräch. Bezeichnend ist Dax’ gute Vorbereitung. So klopft er nicht etwa die Standards ab, fragt nach dem neuen Album oder Film, versichert sich und seine Leser also dessen, was man eh schon weiß – und was die meisten traurigerweise in neuer Aufmache noch einmal (oder wieder und wieder) lesen wollen. Dax fragt vielmehr nach Dingen, die nur Wenigen bekannt sind: Nach vermeintlich weißen Flecken in der Vita des Gesprächspartners und hebt so das Gespräch über die Ebene der banalen Semi-Promotion hinaus. Mit Jazzbassist Charlie Haden beispielsweise spricht er über dessen frühe Karriere als Country-Sänger. Oder mit Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister über die Ikonographie der Nazis. Und Aphex Twin fragt er nach seiner Wohnungssituation – Nachbarn hatten sich beschwert, weil die Musik so laut war.
Dax’ echtes Interesse spiegelt sich in der dem Gespräch vorausgegangenen Recherche und den offenen Fragen, die er seinem Gegenüber stellt. Er ist nicht kritisch, nicht übermäßig zumindest. Dax ist ein Connaisseur, ein Liebhaber, der denen einen Raum, eine Bühne zur Verfügung stellt, die – und das findet nicht nur er als Vertreter der Kritik – wegweisend oder genrestiftend gewesen sind und waren. Er lässt sich ihre Geschichten erzählen, fragt nach den kleinen, kaum bekannten Momenten, um auch den letzten Schatten weg zu illuminieren. Um sie strahlen zu lassen. Herbie Hancock sagt im Interview über den unermesslichen Wert von Kunst: „Man muss einfach lieben, was man tut. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Nicht nur die Interviewten, auch Dax beherzigt das. Seine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, seine Liebe zur Wahrheit verleihen den Interviews einen unwiderstehlichen Charme, eine quasi-freundschaftliche Atmosphäre: „So hätte ich mich auch mit David Bowie unterhalten, wenn ich ihn getroffen hätte“, ist der unwillkürliche Gedanke. Max Dax macht all das richtig, was Tom Kummer sich zu verachten auf die Fahnen geschrieben zu haben scheint. Man muss eben lieben, was man tut. Und seine Gesprächspartner ernstnehmen.
Von Martin Spieß
Literaturangaben:
DAX, MAX: Dreißig Gespräche. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008. 330 S., 11 €.
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