Für Giacomo Casanova gehörte Champagner „zur Grundausstattung eines Verführers“. Die Modedesignerin Coco Chanel meinte, sie trinke Champagner nur zu zwei Gelegenheiten: wenn sie verliebt sei – und wenn sie es nicht sei. Vom russischen Zar Peter dem Großen wird kolportiert, er habe sich nächtens stets mit vier Bouteillen des französischen Schaumweins in sein Schlafgemach zurückgezogen. Und Lily Bollinger, die einer Champagnerdynastie entstammte, wird der Ausspruch zugeschrieben: „Ich trinke Champagner, wenn ich glücklich bin und wenn ich traurig bin. Manchmal trinke ich ihn, wenn ich allein bin. In Gesellschaft ist er ein Muss. Ich nippe daran, wenn ich Hunger habe. Ansonsten lasse ich die Finger davon – außer natürlich, wenn ich durstig bin.“ Um es in aller Kürze mit den Worten Oscar Wildes zu sagen: „Nur phantasielosen Menschen fällt kein Grund ein, Champagner zu trinken.“
Champagner war stets etwas Besonderes. So ließ es sich Winston Churchill nicht nehmen, während des Ersten Weltkriegs seine Kabinettskollegen daran zu erinnern: „Denken Sie daran, Gentlemen, wir kämpfen nicht nur für Frankreich, sondern für den Champagner.“
Was also läge näher, was wäre reizvoller, als eine anregende und wohl informierte Kulturgeschichte dieses anregenden Getränks zu schreiben.
Das in Frankreich lebende amerikanische Journalistenehepaar Don und Petie Kladstrup, die vor allem fürs Fernsehen arbeiten, zeichneten vor einigen Jahren in „Wein & Krieg“ die Ausplünderung wertvoller französischer Weine und Weinkeller durch die Nationalsozialisten nach 1940 nach und landeten damit einen internationalen Bestseller.
So war es nur ein Schritt, sich nunmehr die Historie des Schaumweins von Marne und Aube vorzunehmen. Bereits auf einer der ersten Seite ihres Buches liest man, dass es im Folgenden nicht um „die Kunst der Weinverkostung“ gehen solle „oder um die Technik der Champagnerherstellung“. Stattdessen hätten sie „eine Hommage, vielleicht sogar eine Liebeserklärung“ verfasst. Die beim Leser sich daraufhin jäh einstellenden unguten Gefühle werden auf den folgenden 300 Seiten nachhaltig bestätigt.
Die ersten vier von insgesamt neun Kapiteln erinnern mehr an ein cuvée aus Schattenriss und Aquarell, analog zur Entstehungsweise eines Champagners, der bekanntlich ein cuvée, eine Melange von Trauben aus 30 oder 40 verschiedenen Weinbergen, ist. Da geht es im hastigen Sauseschritt durch viele Jahrhunderte. Alles wird hier pittoresk verquirlt, Entwicklungen entzückend naiv verkürzt, Geschehnisse in einem unangestrengten und von Analyse oder Einbettung in Zusammenhänge gänzlich befreitem Parlando rasch abgetan. Dass da auch gleich so manche Jahreszahl falsch angegeben wird, fällt bei diesem Tempo dann auch nicht mehr verschärfend ins Gewicht. Um so mehr dürften allerdings Napoleon-Biographen überrascht sein, von den Kladstrups Anekdötchen und Histörchen über den Korsen aufgetischt zu bekommen, die schlichtweg falsch sind, so etwa, um ein Beispiel zu nennen, das von ihnen besonders ausführlich geschildert wird, die Beziehung des Hauses Moët zu Bonaparte und dessen bis dato der Welt verborgen gebliebene Tätigkeit als Winzer.
Der Schwerpunkt dieser „Geschichtserzählung“ liegt eindeutig auf dem Jahrzehnt zwischen 1911 und 1920. Dieser Part ist auch besonders aussagekräftig illustriert. Die wirtschaftlichen Krisen und Konflikte von 1911, die Weltkriegskämpfe rings um Reims, die Bombardierung dieser Stadt durch die Deutschen und das Überleben einiger tausender Menschen untertage, im weit verzweigten Labyrinth der Kalksteinkavernen unter den Weinbergen, ist plastisch nachgezeichnet. Danach verfallen sie wieder in ihren pointillistischen Gestus, hier mal ein Pinselschlag, dort eine mündlich zugetragene Anekdote. Selbst die Jahre 1940 bis 1944, wo man eigentlich Querverweise und auf Grund des Vorgängerbandes höhere Erwartungen an Recherche gehegt hatte, werden knapp abgehandelt. Und nach 1945 ist die Champagnerproduktion nur mehr Big Business, woran die Autoren gänzlich desinteressiert sind.
Im Epilog wird das Geheimnis dieser dramaturgischen Schieflage gelüftet. Ursprünglich wollten die Kladstrups ausschließlich über die Zeit des Ersten Weltkriegs schreiben. Erst ihr Verleger habe sie dazu gebracht, den Fokus zu erweitern. Vielleicht hatten sie bei diesem Treffen schlicht zu viel Champagner getrunken. Die Chance, so anregend wie intellektuell prickelnd und vor allem gründlich, fundiert und sorgfältig die Kulturgeschichte der Champagne und des Champagners erzählt zu bekommen, diese Chance ist durch das Buch der Kladstrups bedauerlicherweise für die nächsten Jahre wohl verstellt. Aus einem französischen Wörterbuch aus den 1860er Jahren, dessen Titel das Autorenpaar, soll man sagen: selbstredend, nicht angibt, zitieren sie Folgendes: „die kapriziöse Natur des Champagners [muss] mit Respekt und Demut behandelt [werden], denn in den falschen Händen kann sein Wesen verändert und zu einem bloßen Mittel zum Geldverdienen herabgewürdigt werden“. Was zu beweisen war.
Literaturangaben:
KLADSTRUP, DON / KLADSTRUP, PETIE: Champagner. Die dramatische Geschichte des edelsten aller Getränke. Aus dem Englischen von Dieter Zimmer. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2007. 320 S. mit 60 Abb., 21,50 €.
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