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Lieblings Gaumenfreuden

„Zwischen den Gängen“ ist ein Nachruf auf eine Lebenskultur, die Essen leidenschaftlich zelebrierte

© Die Berliner Literaturkritik, 15.01.09

 

Paris war immer schon der östlichste Außenposten der Vereinigten Staaten. Und für viele Amerikaner eine biographisch essentielle Station. Das setzte im 18. Jahrhundert ein mit Benjamin Franklin und Abigail Adams und endete nicht mit den vielen Möchtegern- und einigen tatsächlich praktizierenden Schriftstellern und Bohème-Künstlern der „lost generation“ in den 1920er Jahren. Henry Miller erforschte Paris mit allen Sinnen vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und Art Buchwald nach dessen Ende. Für nordamerikanische Collegestudenten auf einem roundtrip durch Europa ist Paris noch immer Ziel, Sehnsuchtsort und Projektionsfläche.

Und was war Paris im Jahr 1926 für den 23-jährigen Absolventen der Columbia School of Journalism Abbott Joseph Liebling? Es war Babel. Liebling, Sohn eines aus Österreich eingewanderten und in New York zu Wohlstand gelangten Kürschners, hatte den praktischen Journalismus in der Sportredaktion der „New York Times“ erlernt, war dort allerdings gefeuert worden, nachdem er, zuständig für die Ergebnistabellen, aus Langeweile bei „Schiedsrichter“ immer wieder „Ignoto“, unbekannt, geschrieben hatte, ertappt und prompt entlassen worden und bei einer Provinzzeitung in Rhode Island untergekommen war. Für ihn war Paris Babel mit zahllosen Restaurants. „Mein persönliches Paris ist wie Byblos im Libanon, ein Stapel von Städten, dem Alter nach aufeinandergetürmt, die älteste ganz zuunterst. Byblos hat übrigens auch seine kulinarischen Bezüge, denn die unteren Schichten sind durchsetzt von großen Kochgeschirren, welche die Skelette eines Volkes enthalten, das seine Toten sott und zusammenklappte.“

Offiziell hatte er seinem Vater einen finanziell erträglich abgefederten Studienaufenthalt abgeschwatzt. Was es wurde, war ein volles Jahr Müßiggang. Nach New York zurückgekehrt, wurde Liebling 1935 Reporter bei „The New Yorker“. Für diese Zeitschrift schrieb er bis zu seinem Tod 1963. Enorm viel und enorm vielfältig, wie es damals noch Usus war. Er schrieb über Boxen und städtisches Leben, verfasste unzählige Kolumnen und Porträts pittoresker Gauner, Politiker und Geistlicher, beschrieb den Zweiten Weltkrieg – der übergewichtige Liebling, für den Sport keine exzentrische Grille war, sondern schlicht irrelevant, war wohl der unkriegerischste Kriegskorrespondent jener Jahre. Und er schrieb übers Essen. Und dies alles in einer Manier, die die Grenzen des konventionellen Journalismus überwand und Literatur wurde. Seine Stimme ist unverwechselbar und er selber zum modernen Klassiker geworden.

A. J. Liebling wurde durch seinen dezidiert subjektiven, mäandernden Stil zur Inspirationsquelle der „new journalists“ der Sechziger Jahre. Seine Sprache, schrieb der heutige Chefredakteur des „New Yorker“ David Remnick, der Lieblings Bücher 1978 – natürlich in Paris – für sich entdeckte und 2004 eine Werkauswahl edierte, sehr treffend, sei „snaky and digressive“, schlängelnd und abschweifend.

Liebling war endlos neugierig, ein guter Zuhörer – seine legendär gewordene Interviewtechnik bestand in ausdauerndem Schweigen, woraufhin die Gesprächspartner immer unkontrollierter ins Schwatzen kamen –, ein scharfer Beobachter, der seine Beobachtungen sprachlich präzis wiedergeben konnte. Seine Schilderungen sind unsystematisch und doch gelehrt, getrüffelt mit Ironie, Selbstironie und funkelndem Spott. Ein Beispiel: „Angesichts dessen, was Proust bereits unter dem Einfluss eines so sanften Reizes [das des Madeleinegebäcks] schrieb, ist es ein Verlust für die Menschheit, dass er keinen kräftigeren Appetit hatte. Nach einem Dutzend Gardiners-Island-Austern, einem Teller Muschelsuppe, ein paar frisch gefangenen Jakobsmuscheln, drei sautierten weichschaligen Krabben, einigen soeben gepflückten Kolben Mais, einem dünn geschnittenen Schwertfischsteak von generöser Breite, zwei Hummern und einer Long-Island-Ente hätte er möglicherweise ein Meisterwerk verfasst.“

Alle diese Ingredienzien finden sich auch in dem – eine Schande der deutschen Buchbranche! – erst jetzt von Joachim Kalka präzise ins Deutsche übersetzten Buch Between Meals, seinen 1959 erschienenen Erinnerungen an das Paris von 1926, 1939/40 und der Fünfziger Jahre, an Gourmands, kleine Restaurants und die cuisine française. Es ist eine Feier palataler Wollust, des Wohllebens und der Völlerei. Zugleich ein nostalgiefreier, passionierter Nachruf auf eine Lebenskultur, die sich nachhaltig über den oralen Genuss definierte, die Essen ausgiebig feierte und angemessen zelebrierte. Viele seiner liebevoll ausufernden Essensbeschreibungen dürften A. J. Liebling die Verdammnis seitens der Ernährungswissenschaft einbringen. Dafür kennt diese Prosa keinerlei Verfallsdatum.

Literaturangaben:
LIEBLING, A. J.: Zwischen den Gängen. Ein Amerikaner in den Restaurants von Paris. Aus dem Englischen und mit einem Vorwort und Erläuterungen versehen von Joachim Kalka. Berenberg Verlag, Berlin 2007. 184 S., 21,50 €.

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