Von Andreas Heimann
Frank Schätzing mag keine halben Sachen. Seine Bücher sind dick und aufwendig recherchiert und seine Plots ausufernd. Das gilt erst recht für seinen neuen Roman „Limit“. Er ist ein mehr als 1.300 Seiten starkes Beispiel für die Schätzingsche Meisterschaft, bei Dutzenden von Figuren und einer Handlung, die an etlichen verschiedenen Orten auf fast allen Kontinenten und im Weltraum spielt, den Überblick zu behalten. „Limit“ ist eine unorthodoxe Mischung aus Science Fiction, Spionageroman und Actionthriller. Der Plot ist mindestens so an den Haaren herbeigezogen wie in Schätzings Bestseller „Der Schwarm“. Aber seine Geschichte erzählt der 52-jährige Autor auch diesmal so spannend, dass man das Buch am liebsten nicht aus der Hand legen würde.
Und noch mehr als das: Je weiter man liest, umso mehr taucht man ein in Schätzings Welt. Nach einiger Zeit erscheint es einem nicht mehr abwegig, dass im Jahr 2025 ein stinkreicher, supererfolgreicher Unternehmer namens Julian Orley ein paar mindestens genauso stinkreiche, supererfolgreiche Freunde und Bekannte zu einer Reise auf den Mond einlädt. Hoch auf den Erdtrabanten geht es mit einer Art High-Tech-Fahrstuhl, oben wartet ein Schicki-Micki-Hotel namens „Gaia“ auf die Gäste.
Je nach Temperament vergnügt sich die illustre Schar mit gutem Essen, schlechten Scherzen, Sex in der Schwerelosigkeit oder Weltraumausflügen. Die Stimmung wäre sicher schlechter, wenn sie wüssten, was Schritt für Schritt enthüllt wird: Das Projekt steht unter keinem guten Stern. Carl Hanna, einer der Mitreisenden, entpuppt sich als Fiesling mit erheblicher krimineller Energie und der Lizenz zum Töten. Und gleichzeitig verdichten sich die Hinweise darauf, dass ein Anschlag geplant ist, bei dem mindestens das „Gaia“ mit einer Atombombe zerstört werden soll.
Klingt irre? Stimmt, aber Frank Schätzing verdankt seinen enormen Erfolg gerade der Fähigkeit, die unglaublichsten Geschichten so detailgetreu zu erzählen, dass seine Romane etwas Fotorealistisches bekommen. Das Unwahrscheinliche seiner Plots wiegt er durch diese Exaktheit im Erzählen auf. Bei „Der Schwarm“ hat diese Methode so gut funktioniert, dass Schätzing inzwischen zu den erfolgreichsten deutschen Autoren überhaupt gehört: 3,8 Millionen Mal wurde der Roman über bedrohliche intelligente Lebensformen aus der Tiefsee verkauft, weltweit in 27 Sprachen übersetzt. „Limit“ hat das Potenzial, das noch zu toppen.
Das liegt auch daran, dass Schätzing den Ehrgeiz hat, nicht nur eine Science-Fiction-Geschichte zu erzählen, die auf dem Mond spielt und manchmal wirkt, als sei der Drehbuchschreiber von Raumschiff Enterprise für eine Folge lang auf Speed gewesen. Schätzings Stärke als Autor besteht gerade darin, parallel einen weiteren Handlungsstrang zu entwickeln, der noch spannender ist und noch mehr Tempo entwickelt. Er spielt mal in Shanghai, mal in Berlin, Schwarzafrika, Dallas oder London.
Eben noch ist Cyber-Detective Owen Jericho auf der Jagd nach pädophilen Kinderschändern, gleich danach stolpert er schon in ein Massaker, das chinesische Auftragskiller auf Airbikes genannten fliegenden Motorrädern unter einer Gruppe von Dissidenten anrichten. Deren Anführerin Yoyo überlebt und jagt mit Owen fortan die Mörder ihrer Freunde. Tote gibt es dabei am Fließband. Schätzing legt auch in dieser Hinsicht Wert auf Detailtreue - egal, ob den Opfern das Genick gebrochen wird oder sie das Zeitliche segnen, weil ihnen jemand einen Bleistift ins Auge rammt.
Schon das wären zwei mindestens spannend zu nennende Geschichten, die der Autor außerdem kunstvoll verknüpft. Aber das Buch wäre trotz allem nur halb so gut, wenn Schätzing nicht ähnlich wie beim „Schwarm“ eine Matrix hätte, in die all das eingepasst wird. Beim „Schwarm“ ist es die Verschmutzung der Meere und der skrupellose Umgang des Menschen mit anderen Lebewesen. Bei „Limit“ ist es die Verknappung der natürlichen Ressourcen, die Jagd um die Vorherrschaft auf dem Mond und die Entdeckung neuer Energieträger wie Helium-3, das dort oben abgebaut wird. Die Bereitschaft zum Morden hängt mit all dem zusammen. „Limit“ ist deshalb mehr als ein Thriller: ein intelligenter, lesenswerter Roman mit einer filmreifen Story.
Literaturangabe:
SCHÄTZING, FRANK: Limit. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 1.320 S., 26 €.
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