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Lingua Tertii Imperii - LTI

Notizen des Philologen Victor Klemperer

© Die Berliner Literaturkritik, 22.07.10

Von Stephanie Tölle

Im Dezember 1946, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, veröffentlichte Victor Klemperer „LTI – Notizbuch eines Philologen“. Klemperer lehrte von 1920 bis 1935 französische Philologie an der Technischen Universität Dresden, bis ihm die Nazis aufgrund seiner jüdischen Herkunft Berufsverbot erteilten. Glücklichen Umständen ist es zu verdanken, dass Klemperer zusammen mit seiner Ehefrau den Krieg in Dresden überlebte, wenngleich man ihn auch enteignete und in einem so genannten „Judenhaus“ internierte.

Bei „LTI“ handelt es sich um eine Analyse der Sprache des Nationalsozialismus aus nächster Nähe. Klemperer untersuchte sämtliche Aspekte der Sprache des Dritten Reiches, der „Lingua Tertii Imperii“. Das Resultat ist in einer neu aufgelegten Reclam-Ausgabe, die über einen festen Einband verfügt und 420 Seiten zählt, nachzulesen.

Klemperer beginnt mit der Erläuterung seiner Abkürzung „LTI“ als sein „schönes gelehrtes Signum“. „LTI“ spielt in erster Linie auf den Abkürzungsfanatismus der Nazis an. Ferner erlaubte die Abbreviation Klemperer überhaupt erst, diese Sprachanalyse inmitten der lebensbedrohlichen Umstände zu verfassen.

In dieser Betrachtung stellt er beispielsweise Zusammenhänge zwischen Texten im Schulliederbuch und Sprechchören der Demonstrationszüge her. „[D]ie Sprache ist Ausdruck des Gedankens, der Sprechchor schlägt unmittelbar, mit nackter Faust, auf die Vernunft des Angerufenen ein und will sie unterjochen.“ Dem Schulchor traut man diese brachiale Macht nicht zu. Und doch. Klemperer beweist, welch immense Auswirkung die frohe, scheinbare unschuldige Musikausbildung besaß.

Auch Symbole und Zeichen fanden die Beachtung des Sprachwissenschaftlers, der beispielsweise die Häufigkeit der Verwendung von Stern, Kreuz und Rune verglich und in Bezug zu Tagesgeschehen und Frontereignissen setzte.

Sogar thematische Besonderheiten greift Victor Klemperer auf. So verweist er in einem Kapitel explizit auf die Popularisierung und Glorifizierung des Sports. Die Olympiade von 1936 hat ihr Übriges dazugetan sowie die heroisierten Wagenrennen, die ohne „Straßen des Führers“ undenkbar gewesen wären. Das Boxen sieht sich Klemperer genauer an und konstatiert einen proletarisierten, also volkstümlichen, Anspruch dieser Sportart, den man vom proletarischen abheben müsse. Denn Hitler ging es nicht um eine Aufwertung der Arbeiterschaft als vielmehr darum, eine unbestimmte Menschenmasse zu instrumentalisieren.

Diese Feststellung verweist nicht ohne Stirnrunzeln an Adolf Hitlers Aussage: „Würde unsere gesamte geistige Oberschicht einst nicht so ausschließlich in vornehmen Anstandsregeln erzogen worden sein, hätte sie an Stelle dessen durchgehend Boxen gelernt, so wäre eine deutsche Revolution von Zuhältern, Deserteuren und ähnlichem Gesindel niemals möglich gewesen.“ So enttarnt Victor Klemperer Hitler zwar als schlechten Redner. Er erkennt aber ebenso dessen rhetorisches Geschick, das die Masse begeisterte.

Aufschlussreich ist hierbei allerdings, dass Klemperer die Rhetorik scharf von der Oratorik abgrenzt. Während er letztere als zivilisierte Redekunst versteht, stellt er der Rhetorik auch jene Mittel anbei, die die rein sprachliche Ebene überschreiten. Gemeint sind hier unter anderem Hitlers ausufernde Gestik und Redelautstärke sowie die „feierliche“ Rahmengestaltung seiner Ansprachen, Uniformität und konstruierte Vergleiche.

Victor Klemperers Sprachanalyse der Nationalsozialisten beschränkt sich also nicht auf Theorien, sondern nähert sich anhand unzähliger Beispiele diesem diktatorischen Regime. Daraus entstand ein spannendes Zeitdokument, das durch Klemperers Scharfsinn um manch gewinnbringende Nebenbemerkung ergänzt wurde. Sie enthält zudem persönliche Randnotizen des Autors. Manch menschliche Enttäuschung oder überraschend gewonnene Einsicht.

Der ausführliche Kommentar erleichtert dem Leser das Verständnis, da Klemperer vor allem aus einem reichen Fundus der französischen Literatur- und Geistesgeschichte schöpft. Doch diese zusätzlichen Erläuterungen laden ebenso wie der Buchtext selbst zum Vertiefen ein. „LTI“ bietet die Möglichkeit, sich dem Nationalsozialismus aus sprach- und kulturwissenschaftlicher Perspektive zu nähern, was einer politisch-geschichtswissenschaftlichen in nichts nachsteht.

Victor Klemperer, der nach dem Krieg an seinen Dresdner Lehrstuhl zurückkehrte, hat diese Sozialstudie während der Kriegsjahre angefertigt. So blieb er während des Berufsverbots seinem Forschungs- und Lehrbereich verbunden und konnte außerdem die Demütigungen durch seine kritische-reflexive Bestandsaufnahme ertragen.

Die Persönlichkeit Klemperers fasziniert über das Buch hinaus und empfiehlt neben der Lektüre von „LTI“ auch, einen Blick in die Tagebücher des Autors zu werfen, die bereits im Buchhandel kursieren.

Literaturangabe:

KLEMPERER, VICTOR: LTI – Notizbuch eines Philologen. (24., völlig neu bearbeitete Auflage) Reclam Verlag, Dietzingen 2010. 416 S., 23,95 €.

Weblink:

Reclam Verlag


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