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Literatur zur Passion

Von „stümperhaft“ bis „großes Theater“

© Die Berliner Literaturkritik, 06.07.10

Von Christina Horsten

OBERAMMERGAU (BLK) - Der britische Weltenbummler Richard F. Burton war nicht begeistert: „Die heiligen Frauen agieren stümperhaft, Johannes spielt grausam unterdurchschnittlich.“ Außerdem mangele es „an Schafen und Tauben“. Immerhin - die Verzweiflung des Judas ruft bei Burton „Tränen hervor“. Am meisten aber wundert sich der Geograf während seines Besuchs bei den Oberammergauer Passionsspielen 1880 über die Bayern selbst: „Die Galerie auf den vierten Plätzen war großzügig mit Bier in großen Krügen versorgt. Ich war erstaunt, dass dies erlaubt ist.“

Den amüsiert-kritischen Bericht Burtons hat der Zürcher Arche-Verlag anlässlich der Passionsspiele 2010 ausgegraben – mit mindestens ebenso amüsanten Erläuterungen von Ilija Trojanow („Der Weltensammler“). „Richard F. Burton zu Besuch bei den Passionsspielen» ist nur eine von zahlreichen Neuerscheinungen zum Großereignis in den bayerischen Alpen, das in diesem Jahr noch bis in den Oktober hinein zum 41. Mal die Massen in das kleine Dorf zieht.

Neben dem offiziellen Bild- und Textband hat alleine der Münchner Prestel Verlag zwei weitere Bildbände aufgelegt. „Oberammergau. Tradition, Kunst & Passion“ ist beispielsweise als eine Art „Passions-Reiseführer für Einsteiger“ gedacht, sagt Pia Werner, Sprecherin des Verlags. Auf 128 Seiten erfährt der Leser alles über das 5000-Seelen-Dorf und sein alle zehn Jahre stattfindendes Spiel - dazu gibt es zahlreiche Anekdoten: So bekam König Ludwig II. 1871 eine Separatvorstellung, der amerikanische Verleger William Hearst verlangte nach Frankfurter Würstchen, und der Kabarettist Joachim Ringelnatz widmete dem Dorf ein Gedicht: „Komm zu uns nach Oberammergau. Bei uns ist Christus und Liebe und der Schnee leuchtet himmelblau.“

Im zweiten neuen Bildband des Prestel Verlags – „Passion“ - präsentiert der Fotograf Christopher Thomas eindringliche Nahaufnahmen der Hauptdarsteller. Hans-Michael Koetzle und Annette von Altenbockum haben sich dagegen auf die Suche nach alten Fotos begeben: „Oberammergau. Life & Passion“ zeigt wie sehr sich die Spiele trotz aller Traditionsverbundenheit der Dorfbewohner in den letzten hundert Jahren verändert haben: Bärte und Haare ließen sich die Hauptdarsteller damals schon lang wachsen, aber die Straßen des kleinen Dorfes waren noch nicht geteert und die - fast alle in Tracht gewandeten Zuschauer - reisten zu Fuß an.

Schriftsteller und Prominente zog es schon immer nach Oberammergau - und schon immer inspirierte sie das Schauspiel auch zum Schreiben. „Wir hatten nicht viel für folkloristische Darstellungen übrig, aber die Passion war wirklich großes Theater“, notierte beispielsweise die französische Feministin Simone de Beauvoir nach einem Besuch 1934. Ihr Bericht findet sich im Sammelband „Leiden schafft Passionen“ aus dem Jahr 2000, der beweist, dass sich auch in den älteren Büchern zum Passionsspiel das Stöbern lohnt.

Nicht alle prominenten Passions-Zuschauer waren demnach so begeistert wie die Französin. Der deutsche Schriftsteller Lion Feuchtwanger, der die Spiele im Jahr 1900 besucht hatte, schimpfte sie später ein „Gemisch von Sensationslust, sentimentaler Hysterie und Snobismus“.

Literaturangaben:

- Annette von Altenbockum: Oberammergau. Tradition, Kunst & Passion,
Prestel Verlag, München, 128 Seiten, Euro 9,95, ISBN 9783791350226

- Annette von Altenbockum, Hans-Michael Koetzle: Oberammergau. Life &
Passion 1870-1922 (Bildband), Hirmer Verlag, München, 127 Seiten,
Euro 24, ISBN 9783777427416

- Evamaria Brockhoff, Eberhard Dünninger, Michael Henker: Hört,
sehet, weint und liebt. Passionsspiele im alpenländischen Raum, Haus
der Bayerischen Geschichte, Oberammergau, 336 Seiten, ab Euro 8, ISBN
9783927233027

- Gemeinde Oberammergau: Passionsspiele Oberammergau 2010 - Textbuch,
Eigenverlag, Oberammergau, Euro 5, ISBN 9783930000111

- Gerd Holzheimer, Elisabeth Tworek, Herbert Woyke: Leiden schafft
Passionen. Oberammergau und sein Spiel, A1 Verlag, München, 303
Seiten, ab Euro 4,90, ISBN 9783927743496

- Brigitte Maria: Passionsspiele 2010 Oberammergau (Offizieller
Bildband), Prestel Verlag, München, 128 Seiten, Euro 29,95, ISBN
9783791350240

- Christine Rädlinger: Zwischen Tradition und Fortschritt.
Oberammergau 1869-2000, Eigenverlag der Gemeinde Oberammergau,
Oberammergau, 346 Seiten, ab Euro 36,90, ISBN 9783930000081

- Christopher Thomas: Passion. Photographien der Passionsspiele
(Bildband), Prestel Verlag, München, 132 Seiten, Euro 49,90

- Ilija Trojanow: Oberammergau. Richard F. Burton zu Besuch bei den
Passionsspielen, Arche Verlag, Zürich, 272 Seiten, Euro 22, ISBN
9783716026335


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