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Lorcas Familie gibt nach: Der große Dichter kann exhumiert werden

Würdevolle Bestattung des ermordeten spanischen Dichters ermöglicht

© Die Berliner Literaturkritik, 18.09.08

 

Von Jörg Vogelsänger

MADRID (BLK) – Mit brutalen Worten brüstete sich Juan Luis Trescastro am 18. August 1936 in einem Café im südspanischen Granada, den Dichter Federico García Lorca erschossen zu haben: „Ich habe der schwulen Sau zwei Kugeln in den Arsch gejagt.“ Spaniens berühmtester und bis heute meistübersetzter Poet des 20. Jahrhunderts war nur einen Monat nach Beginn des Bürgerkrieges von den Faschisten festgenommen und mit drei weiteren Gefangenen hingerichtet worden. Als Lorca bereits von mehreren Schüssen durchsiebt tot in dem Massengrab lag, bespuckten und beschimpften die Schergen des späteren Diktators Francisco Franco ihn als „Roten“. Er war erst 38.

Als Linker, Homosexueller und „Volksdichter“ war Lorca den Faschisten besonders verhasst. „Er hat mit seiner Feder mehr Schaden angerichtet als andere mit einer Pistole“, sagten die Militärs über den Autor und Weggefährten von Künstlern wie dem Maler Salvador Dalí oder dem Regisseur Luis Buñuel. Historiker und Schriftsteller haben jahrelang versucht, die Exhumierung des Autors der „Zigeuner-Romanzen“ zu erreichen, um ihm eine würdevolle Bestattung zu ermöglichen. Allen voran der irische Hispanist und Lorca-Biograf Ian Gibson, der das Grab nahe Granada in der Schlucht von Víznar 1971 entdeckt hatte. Doch die Erben des Poeten weigerten sich stets. Die Grabstätte dürfe nicht „entweiht“ werden, lautete das Argument.

Am Donnerstag (18. September 2008), 72 Jahre nach der Hinrichtung, kam dann die überraschende Wende: Die Familie will die Öffnung zulassen. „Uns gefällt der Gedanke nach wie vor nicht, aber wir werden uns nicht länger gegen die Exhumierung sperren“, sagte die Großnichte des Autors, Laura García Lorca, der Zeitung „El País“. Im Namen der Erben forderte sie aber im Falle einer Öffnung des Grabes größte Zurückhaltung: „Das Ganze darf nicht zu einem Spektakel verkommen.“

Dass die Familie nun nachgibt, hängt mit einer großangelegten Untersuchung des Ermittlungsrichters Baltasar Garzón zusammen. Dieser will die politisch motivierten Verbrechen während des Bürgerkrieges (1936-1939) und der anschließenden Franco-Diktatur (1939-1975) aufklären. Dazu gehört die Suche nach Zehntausenden Hinrichtungsopfern, die bis heute in namenlosen Massengräbern liegen. Die Hinterbliebenen eines republikanischen Lehrers und eines anarchistischen Stierkämpfers, die mit Lorca erschossen worden waren, haben den Richter vergangene Woche ersucht, das Grab zu öffnen. Sie wollen ihre Angehörige würdevoll beisetzen.

Wie könnten wir das auch verhindern?“, sagt Laura García Lorca resigniert. Einer Anordnung der Justiz könne sich die Familie nicht widersetzen. „Ihnen blieb nichts anderes übrig“, meinte die Enkelin des mit Lorca ermordeten Lehrers. Sollte der Richter die Exhumierung veranlassen, wäre eine Umbettung des Dichters denkbar. Er könnte mit seinem Vater in New York, seiner Mutter in Madrid oder mit seinen Schwestern nahe Granada beigesetzt werden. „Wir könnten aber auch die Asche überall dort verstreuen, wo er gelebt hat“, ergänzte die Großnichte. Eigentlich zögen es die Erben aber vor, dass Lorcas Leiche dort bleibt, wo sie ist. In der Schlucht seien bis zu 3.000 weitere Opfer verscharrt worden. „Wir wollen Lorca nicht hervorheben.“

„Lorca gehört der Menschheit, nicht seiner Familie. Er ist ein Märtyrer, der sein Leben für Spanien und seine Ideale gab“, argumentiert der Hispanist Gibson schon seit Jahren. Eine würdevolle Bestattung wäre zudem eine moralische Wiedergutmachung für den Poeten, der mit seinen „Zigeuner-Romanzen“ und Theaterstücken wie „Bernarda Albas Haus“ oder „Bluthochzeit“ weltberühmt wurde. „Dies ist ein wichtiger Schritt, heute ist einer der glücklichsten Tage meines Lebens“, freute sich Gibson am Donnerstag. Denn bislang ist die Grabstätte bloß mit einem schlichten Steinquader markiert.

Literaturangaben:
LORCA, FEDERICO GARCIA: Zigeunerromanzen. Übersetzt aus dem Spanischen von Martin von Koppenfels. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 110 S., 11,80 €.

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