Von Armin Steigenberger
Der jüngst im engagierten österreichischen Leykam Verlag erschienene Gedichtband stadt land fluss des 23 Jahre jungen Grazer Lyrikers Christoph Szalay, der den aufregenden Lebenslauf eines Profiskifahrers mit ehemaligen Olympia-Avancen vorzuweisen hat, tastet sich auf vielfältige Art an seine Worte heran. Anlass zur Dichtung gibt in Kapitel 1 die physische Grenzerfahrung mit unmittelbarer Natur: flüchtige schlaglichthafte Texte zeigen draußen auf dem land hautnahes Erleben in Eis, Schnee und Berg. In Kapitel 2 wird stadt als mondäner Raum besungen, wo der einzelne inmitten einer grotesken Sprachversatzstückwelt verlorenzugehen droht. In fluss, dem etwas stilleren dritten Kapitel, fließt Beziehungsalltag in knappe Reflexionen ein und mündet in zyklische Gedichtpassagen.
Im Kapitel land ist Naturerleben und Körpererfahrung Programm. Die in sich gekehrten Texte tasten mit knappen und fesselnden Worten an Schnee, Eis und Felsspalten geradezu atemlos nach einem Du. Orientierung und Körpererfahrung sind zentral, die Finger werden zur Messsonde im Eis und ertasten das gerade noch Fühlbare. Erst zur Mitte hin wird ein zartes Ich greifbar. In den recht kurzen Einzeltexten dieses Kapitels sollen vermutlich die alten Sujets „Berg“, „Eis“ und „Schnee“ lyrisch bearbeitet werden. Eis, Schnee, Berg, hin und wieder Fels, Gletscher und Wald bleiben allerdings begrifflich vereinzelte Vokabeln – unnahbar und starr. Die eher metaphernarmen Texte bringen dafür eine schier unendliche Flut an immer neuen 2-, 3- und 4-fach-Komposita. Einige dieser Wortkumulationen, mit denen im ersten Kapitel höchst artifiziell neue lyrische (Pseudo-)Bilder erzeugt und meist anhand von Schrägstrichen montiert werden, sind sogar ganz gelungen, wie „eis/spitzen/gefühltes“ oder „fuß/gewölb/zwischen/raum“. Bei „spiegel/glatt“, „blick/feld“, „baum/grenze“, „gras/narbe“ u. v. a. fragt man sich allerdings früher oder später, was denn der poetische Mehrwert des derart inflationär gewordenen Schrägstriches sein könnte? Inhaltlich gibt es keine wirklich erkennbare Linie. Was als Innerer Monolog oder Ansprache ans Selbst raffiniert mit dem lyrischen Du beginnt, wird schnell diffus, löst sich abrupt auf in ein kaum greifbares lyrisches Wir; bald kommt noch ein Ich hinzu, das genauso diffus und unpersönlich ist: die drei völlig anonym bleibenden Instanzen Ich, Du, Wir sind im ganzen Buch Träger des Erlebens, werden aber durchgängig nicht verortet.
Die Texte in stadt wirken schnell hingesetzt, Entfremdung im großstädtischen Raum wird evident und weist auf gähnende Leerstellen in der urbanen Psyche hin, ähnlich wie nihilistische Tags an Wänden der Bahntrassen und U-Bahn-Scheiben. Was sich in land schon ankündigte, wird hier mit noch gesteigerter Formenvielfalt fortgesetzt. Hier wird die pulsierende Metropole vor allem durch die äußere Form der Texte widergespiegelt. Bruchstücke und Idiome jugendlichen Sprechens werden absichtsvoll in beliebiger Form gemixt und recycelt. Dies mündet in einen furiosen Overkill an dekonstruierter Jugendsprache, mit deren angesagten Phrasen – die zu jeder Zeit immer den allerletzten Hype einzufangen glauben – Szalay sein Spiel treibt; vermutlich soll die Sprachwelt der Jugend mitsamt ihren Amerikanismen als inflationäre, weitgehend inhaltlose Sprachwelt entlarvt werden. Das gelingt nur ansatzweise, da der Autor alles unternimmt, seine (bewusst?) inhaltslosen (Nicht-) Bilder mittels beliebig wirkender Einschübe, effektvollen Schrägstrichen, Kippen der Texte in die Vertikale u. v. a. formal aufzufrisieren und schillernde Polyvalenz zu erzeugen; hierdurch werden Sprachversatzstücke zwar entlarvt als reine Signifikanten, deren Signifikate nicht vorhanden oder austauschbar scheinen; allerdings wird parallel durch die systemlose Beliebigkeit der Methodik Szalays eine neue Folie der Inhaltslosigkeit geschaffen. Letztlich bräuchte es die Präzision einer eindeutigen und geradezu analytischen Methodik statt einer in sich zwar virtuosen aber völlig beliebigen Formenspielerei. Es gibt vermutlich keinen Effekt, keine optische Kapriole, die der Autor nicht ausprobiert; da wird fett und kursiv gesetzt, da werden Wörter in beliebige Phon(em)e und Grapheme zerteilt: „ab/ge dunkel t es“, es wimmelt nonverbal vor „[…]“ und „;(;(;(“, einmal wird ein Fenster, anderswo die Pointe von Hand unter den Text gekritzelt – man beachte den morphologischen Zeilenbruch:
NO TOWN (FOR LOS
ERS)
Eckige neben spitzen Klammern, Schrägstriche, Wortmixturen, Komposita und das F-Wort werden ab jetzt inflationär – was dem Stadtklischee perfekt entspricht.
Nach stadt atmet man richtig auf, dass die (pseudo)mondänen Wortkaskaden ein Ende haben.
In fluss geht es dafür etwas ruhiger zu. Kurze Verszeilen geben passagenhaft momentane Eindrücke, Gedanken und Emotionen zum Thema Beziehungsalltag wieder. Auch hier überlappen äußere Wahrnehmung und innere Stimmungsmuster. Hier geht es um Zugehörigkeit zum Partner vs. Verlassenwerden, Festgehaltensein und Entfernung vom anderen. Das wiederkehrende Motiv dreier einleitender Punkte markiert einen epischen Zusammenhang. Was in dünnen (Halb-) Sätzen an Fragment stehenbleibt, zeigt ein Ich und ein Du in rudimentärem Zwiegespräch. Es scheint zunächst, als sei eine fast vollständige Reduktion vorgenommen worden. Formal wird hier „nur noch“ die Position der Verse auf dem Weiß der leeren Seite inszeniert, teilweise auch mehrere auf einer Seite.
…
aus der mitte heraus bewegst
du dich an den rändern
...
du dachtest daran, dein gepäck hier zu
lassen, da es dir sonst zu schwer werden
würde
Fazit: Wer von Gedichten nichts anderes erwartet als beständig vom Autor bewiesen zu bekommen, dass es diesem gewiss nicht an Einfallsreichtum mangelt, seine Gedichte immer wieder neu und anders optisch in Szene zu setzen, der kommt hier vollends auf seine Kosten. Das Poetische der Texte, das man hie und da beinahe mit Überraschung „dann doch“ findet, verhält sich geradezu reziprok zur formal(istisch)en Inszenierung. In land wird durch Verschneidung von Natur und Psyche keine dritte Wirklichkeit evident; in stadt wird weder mittels Überschreibung das Nichtformulierbare in Sprache gesetzt noch wird mittels Auslassung präzise ein klar umrissener Inhalt herausgearbeitet. In fluss werden auf der Beziehungsebene keine bisher nicht dagewesenen Inhalte zum Thema Liebe aufnotiert. Wer Tiefgang und Poetizität erwartet, neue lyrische Bilder, oder gar geistreiche, intelligente, doppelbödige Texte, die ihren poetischen Gehalt nicht offen zur Schau, sondern zwischen den Zeilen tragen, der wird hier herb enttäuscht. Diese Poesie geht ein wenig zu einfach. Es gelingt ihr nicht wirklich, mittels einer solch rein formalen Inszenierung, die ihre eigenen extremen Beliebigkeiten mitbringt, das Inhaltslose der (urbanen und amerikanisierten) Worthülsen aufzudecken. Die Texte gehen über das, was sie als Folie markieren und sich zunutze machen, kaum hinaus. Es bleibt beim mutigen Ansatz. Die skizzenhaften, nervösen Texte wirken auf den ersten Blick äußerst modern, experimentell und am Puls der Zeit – was da so alles an Variation mit der äußeren Form passiert. Fast möchte man Szalay sagen, dass es doch gar nicht um die Form geht. Oder dass Form eine reine Äußerlichkeit ist. Um nicht zu sagen: oft ein Popanz. Oder dass zum Gedichteschreiben mehr gehört als grandiose (?) Formenspielerei. Oder dass die Form zwar die Rezeption beeinflusst, aber dass es hinter all diesen optischen Modulationen auch noch einen so genannten „Inhalt“ geben sollte. Und das ist das Problem.
Literaturangabe:
SZALAY, CHRISTOPH: stadt / land / fluss: gedichte. Leykam Verlag, Graz 2009. 184 S., 14,50 €.
Weblink
Leykam Verlag