Von Claudia Utermann
Ein „Liebesroman“, wie es im Untertitel heißt, ist das neue Buch „Mädchenmörder“ von Thea Dorn eher nicht. Diese Bezeichnung führt auf die falsche Fährte, denn das neue Werk der Spezialistin für Kriminalistik und menschliche Abgründe ist weniger spannend als vielmehr ein ekliges, blutiges und äußerst kaltherzig geschriebenes psychologisches Essay. Es geht zwar um einen klassischen Kriminalfall – eine junge Frau wird von einem perversen Sexualverbrecher entführt – doch der Ausgang ist dem Leser von vornherein klar: Das Opfer überlebt, denn der erste Teil des Romans ist in Ich-Form geschrieben, sozusagen als Bewältigungstherapie für das Durchlittene. Auch will sie das Bild, das hysterisch berichtende Medien über ihren Fall gezeichnet haben, korrigieren. Und der Täter bringt sich nach einer zweiwöchigen Flucht mit ihr um.
Die Beschreibung der Qualen aus der Opferperspektive, in die sich Thea Dorn hinein versetzt, ist zunächst einerseits extrem verstörend, andererseits aber auch packend. Besonders die Gedanken der Entführten über die Psyche und die Motive ihres Peinigers sind beachtlich und fesselnd. Doch zunehmend irritieren der kalte, abgeklärte Ton der Schilderungen und die abgründigen Details der Qualen. Die ganze Situation wird immer weniger nachvollziehbar. Schließlich, auf dem Höhepunkt der Flucht von Täter und Opfer quer durch Europa, kommt ein Bruch – die Ich-Erzählung endet.
Stattdessen wird die Story nun in Brief-Form weitergetrieben. Es handelt sich, das wird schnell klar, um Liebesbriefe des Opfers an den mittlerweile toten Täter. Die Entführte erinnert sich aus einer ganz neuen Perspektive an den Fortgang der Flucht, Ereignisse, die der Leser bereits aus den Ich-Schilderungen kennt, erscheinen nun in einem bizarren Licht. Doch hier liegt auch das Problem: Der Wandel vom Entführungsopfer zur willigen Komplizin wird nicht verständlich. Erster und zweiter Teil des Romans fügen sich nicht aneinander. Immer abstoßender und perverser geriert sich das vermeintliche Opfer. Ob die junge Frau unter dem Einfluss des Stockholm-Syndroms steht oder ob sie von Anfang an gar nicht gelitten hat, bleibt unklar.
Die 1970 geborene Autorin hat bereits zahlreiche Preise für ihre Bücher erhalten, unter anderem den Deutschen Krimipreis. Für die ARD-Serie Tatort schrieb sie ein Drehbuch, das 2002 von Radio Bremen verfilmt wurde. In ihrem Roman „Die Brut“ (2004) beschrieb sie schonungslos und doch mitfühlend eine dramatische Wende im Leben einer modernen Karrieremutter zwischen kaltem Ehrgeiz und Kinderwunsch. Sie hat eine Ausbildung in klassischem Gesang absolviert und studierte Philosophie und Theaterwissenschaften.
Literaturangaben:
DORN, THEA: Mädchenmörder. Ein Liebesroman. Manhattan Verlag, München 2008. 336 S., 19,95 €.
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