Von Leonhard Reul
„Männerb(r)uch. Von der schrecklich schönen Nachtmeerfahrt des westlichen Mannes.“ So lautet der Titel von Wolfgang Siegmunds gut 120 Seiten starken Erzählband. Und der Leser fragt sich, was er von einem solch eindrucksvollen Titel erwarten kann und soll. Mythologisch Zeitgemäßes lässt sich wohl vermuten. Was hat der Körner-Preisträger zu bieten – hat er den Literaturpreis der steiermärkischen Sparkasse sinnvoll genutzt? Cover und ORF-Autorität loben das Buch einhellig, „Frauen werden dieses Buch lieben – und Männer werden auch einverstanden sein.“. Also in Wahrheit doch kein echtes Männerbuch?
Genug der Spekulation vorweg, nach der Lektüre lässt sich ein Urteil leichter fällen. Das Buch ist in kleine Kapitel aufgeteilt, der Autor nennt sie „Ausfahrten“, die der westliche Mann nehmen kann und die sich verschiedenen Themen widmen. Die Untertitel sind spielerisch und mitunter schön gewählt – man weiß schon zu Beginn, wohin die Reise in etwa geht. Und doch sind sie nicht unabhängig voneinander, die Abfahrten aus der verqueren Situation der (un-)gewollten Männlichkeit. Zu Beginn stellt Siegmund eine durchaus zutreffende Situationsanalyse des Mannes unserer Tage auf, dann geht er nach schwächeren autobiografischen Exkursen zu den Tröstungen über.
Und diese Tröstungen sind nun wahrlich interessant. Er stellt dem Leser einige Künstler und Geistesgrößen zur Seite, flicht sie in seine Geschichte ein, lässt uns mitdenken und rät uns mitzunehmen, was (ihm) brauchbar erscheint. Die Reise beginnt in Einsamkeit – Siegmund wählt den schönen Weg uns diese Dimension durch (Rücken-)Bilder und Worte („Alles ist Stille – Stille – Stille um mich her, allein und immer allein; es tut mir wohl, aber immer möchte ich es nicht so haben.“) von Caspar David Friedrich zu versinnbildlichen. Und Friedrichs „Mönch am Meer“ tritt als fragendes Alter Ego mit in die Geschichte ein, ist so etwas wie eine Leistungskontrolle für uns westliche Männer – wie weit haben wir uns gedanklich schon mitentwickelt? Sind wir nach Begegnungen mit Frauen, Filmen, Denkern und Bildern bereit geworden für den hintan gestellten, favorisierten Heraklitschen Lösungsweg? Dieser besagt: „Wenn das Unerwartete nicht erwartet wird, wird man es nicht entdecken, da es dann unaufspürbar ist und unzugänglich bleibt.“ Seit der zehnten Ausfahrt „zu einer Strategie, die so verkehrt scheint, und die doch alles Unglück des Mannes löst“ geht es Siegmund um nichts anderes mehr als uns seinen Königsweg zum Männerglück aufzuzeigen.
Und die gewählten Gewährsmänner, vorzugsweise Renaissancephilosophen, stützen seine These, wonach es letztlich um die Selbstannahme inklusive aller Niederlagen geht. Dies führt dazu, dass der Gedanke, nicht aber mehr der Vollzug des Scheiterns misslingt. Dafür zeigt uns Siegmund einen Machiavelli, der uns rät: „Preise die Niederlage, preise den Fürsten, preise alles, was du stürzen willst und maule gegen alles, was du liebst. Nur so kommt diese verkehrte Welt wieder ins Lot.“. Ein Machiavelli, der einsieht: „Wie stünde ich da, würde ich Fremden erklären, dass mein innerer Fürst sein eigenes Volk, also mich, unentwegt drangsaliert?“(S. 71f). Auch Abaelard, von Siegmund zum „ersten Intellektuellen Europas“ erhoben, wird als Wegweiser vor seinen Karren gespannt. „Wer ständig siegen will stirbt unentwegt.“(S. 83). Abaelard ist zudem Siegmunds Übergang zu Derrida, da er schon die geistige Kastration (des Kirchendogmatismus) überwindet und im Grunde Derridas Unmöglichkeitsdenken anlegt: „Nach seiner (Derridas, LR) Theorie müssen wir die Unmöglichkeit unaufhörlich denken, um nicht tagtäglich den Pfotenhieb der Wirklichkeit zu erleiden.“(S. 113).
Dieser Einbezug des Unmöglichen, des weiten Gedankenmöglichkeitsraums ist deshalb so wichtig, weil Siegmund findet: „ ... nur einen einzigen Kampf haben wir Männer des Westens zu kämpfen, den Kampf gegen unsere stille innere Resignation.“(S. 120). Er will uns unversperrt offen halten fürs „Fremde in uns“, „von dem ich kürzlich noch dachte, dass der Abgrund stets ein Land sei, das meinem Nachbarn gehört.“(S. 121). Und dieser Weg ist kein abwegiger, häufig beziehen ihn die (auch erwähnten) Psychotherapien als Technik mit ein.
Ob der westliche Mann dann wortmächtig wie Siegmund seine Selbsterlösung feiern kann, bleibt abzuwarten, weil es aber so schön klingt sei dem Leser die Ode an die Zukunft nicht vorenthalten: „Und in den stets dunklen, mit Blei verschlossenen Horizont bricht auf einmal eine Lichtspur ein, treibt die schwere alte Welt zurück in unsere, in meine Vergangenheit, ins Vergessen. Und etwas Frisches berührt meine Hände, deine grauen Schläfen, unseren Nacken, eine Hoffnung, so neue geboren, dass sie sich der alten Sprache wie ein Kind entzieht..“(S. 122).
Ist die Nachtmeerfahrt nun also schrecklich oder schön? Beides. Siegmund malt mitunter sehr schöne sprachliche Bilder, verfolgt Gedanken mit Konsequenz, zeigt Geistesfreunde vor. Dies Vorzeigen ist aber nicht ohne Unbehagen anzunehmen. Siegmund ist recht eitel und sich selbst gefallend, wenn er seine Kenntnisse aus der Philosophie demonstrativ einbaut. Das Thema moderner Männlichkeit käme auch ohne diese gesuchten Referenznahmen aus – und dennoch zum favorisierten Lösungsweg. Insofern schließt der philosophisch bewanderte männliche Leser ganz im Sinne der o. g. ORF-Buchrückenkritik: einverstanden mit dem Buche ja, aber lieben: nein!
Literaturangabe:
SIEGMUND, WOLFGANG M.: Männerb(r)uch. Von der schrecklich-schönen Nachtmeerfahrt des westlichen Mannes. Leykam Verlag, Graz 2009. 125 S., 18,40 €.
Weblink: Leykam Verlag