Von Oliver Hollenstein
MEININGEN (BLK) - Märchen sind voll im Trend - und das nicht nur für Kinder. „In der modernen Welt voller Zahlen und Berechnungen bildet das Wunderbare der Märchen vielen Menschen Halt“, sagte der Präsident der Europäischen Märchengesellschaft, Heinrich Dickerhoff, im Gespräch mit Oliver Hollenstein. Erzähler von Märchen seien derzeit gefragt wie seit Jahren nicht mehr. „Märchen schaffen den Zugang zu den unaussprechlichen Bildern im Kopf, Identifikation für eigene Gefühle und einen Hoffnungsschimmer. Das fasziniert viele.“
Dickerhoff erzählt und liest auch vor deutschen Soldaten, die nach Afghanistan müssen oder gerade zurückkommen. „Märchen sind Mutmach-Geschichten“, sagte er. Auf dem Buchmarkt sei die Zeit der Technologie-beladenen Science-Fiction vorbei. „Stattdessen sind es die Fantasy-Geschichten, die uns heute begeistern.“ Viele Menschen würden bei Märchen vor allem an Kinder und die Gebrüder Grimm denken. „Märchen sind aber viel mehr - und ursprünglich gar nicht für Kinder gedacht gewesen“, sagt er.
Häufig gehe es in den volkstümlichen Geschichten auch um Erotik. Zudem gebe es Geschichten speziell für Frauen und für Männer. „Bei den Männermärchen geht es häufig um die beiden großen Probleme im Leben eines Mannes: Den Umgang mit Frauen und Macht“, sagte Dickerhoff. Bei Frauenmärchen spiele dagegen häufig die Auseinandersetzung mit einer älteren Frau eine große Rolle.
Neben der Begeisterung für Märchen - auch aus anderen Ländern - beobachtet Dickerhoff ein steigendes Interesse für das mündliche Erzählen. „Die meisten kennen das heute gar nicht mehr, dass sich jemand hinsetzt und erzählt. Das ist ein ganz anderes Erlebnis als das reine Vorlesen“, sagt er.
Rund 200 hauptberufliche Märchenerzähler gibt es in Deutschland, schätzte Dickerhoff. Daneben verbreiteten hunderte nebenberufliche Erzähler Märchen vor allem in Kindergärten, Schulen, Hospizen und Gefängnissen. Die Europäische Märchengesellschaft tagte bis Sonntag (25.4.) im südthüringischen Meiningen. 160 Wissenschaftler, Märchenerzähler, Pädagogen und Märchenliebhaber reisten an. Sie gehen unter anderem der Frage nach, wie Märchen Menschen helfen können, mit ihrem eigenen Leben klar zu kommen.
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Europäische Märchengesellschaft