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Man muss die Figuren lieb haben

„Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ von Clemens J. Setz

© Die Berliner Literaturkritik, 26.05.11

SETZ, CLEMENS J.: Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes, Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, 350 S., 19,90 €.

Von Susanna Gilbert-Sättele

„Man muss die Figuren lieb haben“, sagte Clemens Johann Setz einmal, „auch wenn es die größten Arschlöcher sind.“ Tatsächlich lotet in den neuen Erzählungen des österreichischen Schriftstellers eine Menge skurriler Typen die Grenzen ihrer Freiheit aus. Auch von Einsamkeit von anarchischen, oft gewalttätigen Ausbruchsversuchen aus der erstickenden Einöde ehelicher Zweisamkeit handeln die 18 Miniaturen des Bandes „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“, mit dem sich der 28-jährige Grazer („Söhne und Planeten“) in die Shortlist für den Leipziger Buchpreis geschrieben hat.

In den Erzählungen leben Menschen allein unter der Glasglocke oder in Gondeln eines Riesenrades, der „lauernden Kälte des Weltalls“ ausgesetzt, oder sie quälen sich gegenseitig aus Verzweiflung über selbst erlittene Qualen. Setz schreibt nah an der Wirklichkeit und beschreibt dennoch bizarre Traum-Szenarien. In dieser eigenartigen Verbindung und in dem überraschenden Wechsel von schockierenden und zärtlichen Momenten liegt der Zauber des Buches. Da wachsen einer Frau plötzlich Flügel, „schmutzig-roafarbene, verletzlich wirkende Hautgebilde“, da wird der Autor selbst als seniler Greis in einem Gitterbett als „Herzstück“ eines kleinen Museums seiner Werke gehalten, oder da freut sich ein einsamer Mann über die Gesellschaft einer nackten Frauenleiche.

Besonderes Gewicht kommt der Erzählung zu, nach der das Buch benannt ist: In einer Stadt wird die Lehmplastik eines sitzenden Kindes aufgestellt. Überzeugt davon, dass „kein Künstler jemals das Monopol über die Vollendung seines Kunstwerks beanspruchen dürfe“, lädt der Bildhauer sein Publikum ein, die Gestalt „mit Schlägen, Tritten, Werkzeugen oder, falls notwendig, sogar mit Waffen“ in die perfekte Form zu bringen. Nach einer angemessenen Frist der Scheu machen sich die Menschen grimmig im Dienste der Kunst ans Werk. Abends, nach Büroschluss, zieht auch Lea los, um hemmungslos zuschlagend „ein besserer Mensch zu werden“.

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Setz' Figuren sehnen sich nach Freiheit, deren Grenzen sie nicht kennen. Sie wollen intensiv leben, sie wollen nicht allein sein und ertragen dennoch keine Nähe. In der Erzählung „Die Blitzableiterin oder Èducation Sentimentale“ glaubt ein Paar diesem Dilemma entgehen zu können, indem es sich zunächst scheiden lässt, um dann in seinem Sexleben ein Tabu nach dem anderen zu brechen. „Die Augenblicke von Perfektion und Grenzüberschreitung waren der Leim, der uns zusammenhielt.“ Zu spät merken die Beiden, dass sie immer heftigere Kicks brauchen und sich am Ende selbst zerstören.

Die rätselhaften Erzählungen könnten als menschenverachtend gedeutet werden, schimmerte da nicht immer wieder ein Quäntchen schwarzen Humors zwischen den Zeilen hindurch. Und gäbe es nicht die magische Kraft der Musik, die als durchgängiges Motiv in fast allen Geschichten wirkt. Zudem versteht es Setz, beim Leser Mitgefühl für seine verzweifelten Helden hervorzurufen, die letztlich nur eines wollen: glücklich sein.

Weblink: Suhrkamp Verlag


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