Werbung

Werbung

Werbung

Mann ohne Eigenschaften?

Walther Rathenau als verkannter Politiker

Von: STEPHANIE TÖLLE - © Die Berliner Literaturkritik, 05.08.09

Als „Portrait einer Epoche“ entwarf der Historiker Lothar Gall sein neuestes Buch und konturiert diesen Rückblick anhand der Person Walther Rathenaus. Das vergilbte Portrait „Jahrhundertwende“ erhält somit in der Verknüpfung von Epoche und Einzelperson neue Farbnuancen. Der Sohn dieser Epoche, der Philosoph, Politiker und Visionär Rathenau, repräsentiert im Kleinen, was der Epoche en gros widerfuhr. Als Grenzgänger zwischen den Welten vereint er sämtliche Widersprüche in sich und verkörpert den erfolglosen Fluchtversuch vor dem Verfall.

So wie der Millionärssohn des AEG-Begründers Emil Rathenau dem Schatten des übergroßen Vaters entfliehen wollte, strebten damals Millionen junge Menschen nach Selbstverwirklichung – der Begriff der „Jugend“ trat erstmalig in Erscheinung. In keiner Generation zuvor kam dem Lebensabschnitt zwischen Kindheit und Erwachsenenalter soviel Bedeutung zu. Doch neben Jugend- und Sezessionsbewegungen sprach man im politisch-wirtschaftlichen Ressort von Großmachtstreben und Kolonialismus auch von Dekadenz. Der Erste Weltkrieg stand unmittelbar bevor. Die „Urkatastrophe“ wurde von Vielen zunächst jubelnd begrüßt, aber rasch als Apokalypse erkannt.  So erlebte Walther Rathenau wie viele seiner Zeitgenossen das baldige Ende seiner Träume.

Immer wieder wandelte Rathenau zwischen den Welten. Als anfänglicher Kriegsbefürworter und Mitglied des kaiserlichen Beraterstabs wies er sich bald als Kritiker Wilhelms aus. Auch an vielen anderen Beispielen beschreibt Gall Walther Rathenau als Querdenker. Mit seinen modernen, zuweilen utopischen oder einfach nur ungewöhnlich mutigen Thesen sorgte er in allen politischen Lagern für Furore. Dieser Spagat ist für die Person Walther Rathenaus typisch, aber sie karikiert auch das Paradoxe dieses zeitgeschichtlichen Schnittpunktes. Aus der Monarchie entwickelte sich nur langsam die ungeliebte Republik – erneut spiegelt sich die kleine in der großen Welt: Die alten Instanzen, das Elternhaus und das Kaiserreich, entließen ihre Kinder nur sehr ungern in die „Moderne“. Walther Rathenau blieb daher hin und her gerissen zwischen Altehrwürdigem und kreativem Neuland.

Die Widersprüche im Leben Walther Rathenaus wollen also kaum enden: Als Sohn und Ingenieur weigerte er sich zunächst, in die Fußstapfen des Vaters zu treten, übernahm aber später doch die Geschäfte. Allerdings entging ihm das Erbe und andere führten den väterlichen Konzern weiter. Als Jude versuchte er sich von seinem Glauben zu lösen, propagierte die völlige Assimilation, konvertierte jedoch nie. Rathenau bemühte sich um eine europäische Wirtschaftsunion, um so eine friedliche Koexistenz zu sichern. Dabei war er seiner Zeit weit voraus, blieb aber ungehört und unverstanden. Er reagierte damit auf einen Krieg, den er nicht wollte, von dem er aber profitierte. Er redete auf diese Art als Wirtschaftsliberaler, um sich dem Vorwurf des Sozialismus und Marxismus auszusetzen. Er entwickelte eine Konsortiumsidee, um als Vertreter der Planwirtschaft in Verruf zu geraten. Als Neffe von Max Liebermann tat sich Rathenau früh als Kunstliebhaber hervor. Er sammelte Bilder von Edvard Munch, als dieser noch unbekannt war und unterhielt Kontakte zu modernen Literaten wie Gerhard Hauptmann, mochten diese auch für Theaterskandale sorgen. Als Rathenau mit Publikationen wie „Mechanik des Geistes“ oder „Von kommenden Dingen“ hohe Auflagen erzielte, blieb ihm öffentliche Verhöhnung nicht erspart. Seine Gedanken wurden belächelt, seine Kunst als Dilettantismus (ein Modewort jener Jahre) abgetan.

Auf politischer Ebene entschieden sich das Schicksal Rathenaus und das der jungen Republik nahezu synchron. Rathenau fand unter Wilhelm II. in die Politik und in der Demokratie den Tod. Auch in Deutschland verunglückte der Versuch eines Übergangs aus dem Kaiserreich in eine Republik. Als Außenminister lehnte Walther Rathenau das Großmachtstreben ab und suchte die Aussöhnung mit den geopolitischen Nachbarn. Politisch taktierend wollte er den Krieg diesmal auf wirtschaftlicher Ebene fortsetzen, um Deutschland einen möglichst großen Vorteil zu sichern. Doch für diese Herangehensweise, die im Vertrag von Rapallo gipfelte, wurde er von seinen Landsmännern zu den „Novemberverbrechern“ gezählt und geriet in Lebensgefahr. Seine liberalen Einstellungen stießen größtenteils auf Unverständnis, Rathenaus versöhnliche Gesten blieben erfolglos. Als er 1922 eines gewaltsamen Todes starb – aufgrund seiner politischen Gesinnung und religiösen Herkunft –, starben mit ihm diese progressiven, modernen und eben liberalen Gedanken. Die Zeit mit uralten Feindschaften und Gewohnheiten zu brechen war noch nicht gekommen.

Man könnte es Ironie des Schicksals nennen, dass Rathenau die wohlverdiente Anerkennung vorenthalten blieb. Statt literarisch-philosophischen Ruhm für seine zahlreichen Publikationen zu erhalten, ging er als „Mann ohne Eigenschaften“ (von Robert Musil) in die Annalen der Literaturgeschichte ein. Als Ironie der Geschichte wiederum könnte man bezeichnen, dass die Visionen eines Mannes, die der Weltgeschichte eine andere Wendung hätten geben können, verkannt wurden.

Von Stephanie Tölle

Literaturangabe:

GALL, LOTHAR: Walther Rathenau. Portrait einer Epoche. C. H. Beck Verlag, München 2009. 298 S., 22,90 €.

Weblink:

C. H. Beck Verlag

Stephanie Tölle hat in Göttingen und Dresden Germanistik, Politikwissenschaft und Romanistik studiert. Sie ist freie Kritikerin dieses Literatur-Magazins


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: