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Mannigfaltige künstlerische Einflüsse

Ursula Heiderichs Monographie „August Macke. Der hellste und reinste Klang der Farbe“

© Die Berliner Literaturkritik, 20.05.08

 

OSTFILDERN (BLK) – Im Mai 2008 ist Ursula Heiderichs Monographie „August Macke. Der hellste und reinste Klang der Farbe“ im Hatje Cantz Verlag erschienen.

Klappentext: August Macke (1887–1914) blieb zur Vollendung seines leuchtenden Werkes tragischerweise nur ein rundes Jahrzehnt. In diesem kurzen und bewegten Zeitraum verarbeitete er mannigfaltige künstlerische Einflüsse durch Renaissance, Impressionismus, Kubismus, Futurismus, Honoré Daumier, Henri Matisse und die islamische Kunst. Er studierte bei Lovis Corinth, machte Studienreisen nach Italien und Paris, war der Künstlergemeinschaft Blauer Reiter freundschaftlich verbunden und unternahm mit Paul Klee und Louis Moilliet die gemeinsame, berühmt gewordene Tunisreise. Unbeirrt entwickelte der Künstler dabei seine charakteristischen Bildthemen weiter – Spaziergänger, Mütter mit Kind an der Hand, Menschen in Gartenrestaurants, im Zoo, Zirkus oder vor einem Schaufenster. Das aufschlussreiche Kompendium von Ursula Heiderich zu Leben und Werk August Mackes bietet eine informative und kurzweilige Einführung in dessen vielfältiges und einzigartiges Œuvre. (car/wip)

 

Leseprobe:

© Verlag Hatje Cantz ©

Kindheit und Jugend

 

August Macke wurde am 3. Januar 1887 geboren. Er kam im sauerländischen Meschede zur Welt. Die Familie väterlicherseits war bäuerlichen Ursprungs, sie stammte aus Ellierode im Harz, und bis heute ist der Name Macke im ländlichen Niedersachsen nicht selten anzutreffen.

Bereits der Großvater Friedrich August Ferdinand Macke verließ das angestammte Umfeld. Er wurde in Wolfenbüttel zum Lehrer ausgebildet, arbeitete danach als Hauslehrer und leitete schließlich den Schulunterricht in Seboldshausen. Sein Wirkungsfeld dort war wahrhaftig vielfältig, zu seinen Aufgaben zählte unter anderem auch die Vertretung eines geistlichen Kantors und Predigers. Als Neuerung führte er den Zeichenunterricht in seiner Schule ein – hier ist ein erster Hinweis auf künstlerische Begabung in der Familie zu bemerken. Aus der Ehe von Mackes Großvater mit einer Bauerntochter gingen acht Kinder hervor, von denen der älteste Sohn wohl das Zeichentalent geerbt hatte. Mackes Vater August Friedrich Hermann Macke besuchte die Baugewerbeschule in Holzminden. Er wurde Tiefbauingenieur und Bauunternehmer, war an zahlreichen Projekten dieser baufreudigen Zeit beteiligt und konstruierte Bahnhöfe, Eisenbahnstrecken und -brücken, Talsperren und Ähnliches mehr. Neben seinem Beruf sammelte er Kunstwerke, alte Stiche und Münzen. Er hatte außerdem durchaus Anlage und Neigung zu eigener künstlerischer Betätigung als Zeichner, wofür seine Ausbildung eine gewisse Anleitung und Schulung vermittelt haben muss. In seinem Nachlass befinden sich Landschaftszeichnungen, die nach Art von Veduten des 19. Jahrhunderts „sauber“ in der spröden Linienführung gehalten sind, sie besitzen eigenartigen Charakter und fast naiven Charme.

Während eines längeren Arbeitsaufenthalts im Sauerland lernte der Ingenieur Florentine Adolph kennen, die Tochter eines wohlhabenden Bauern, der auch eine Bäckerei und eine Wirtschaft betrieb. Nach der Heirat 1872 führte das Paar ein unruhiges Leben von Ort zu Ort ziehend, bedingt durch die wechselnden Bauvorhaben des Mannes. Fünf Töchter wurden zunächst geboren, von denen drei im frühen Kindesalter starben. Schließlich ließ sich die Familie in Meschede nieder und bezog ein vom Vater Macke selbst gestaltetes, geräumiges Haus. Dort kam als sechstes und letztes Kind August Macke zur Welt, der ersehnte Stammhalter, auf den man wohl kaum noch zu hoffen wagte, hatte doch bereits eine ältere Schwester den tradierten Vornamen, abgewandelt zu Auguste, erhalten.

Mackes Vater wurde durch den Beruf häufig von seiner Familie ferngehalten. Wie verhältnismäßig selten der Sohn den Vater sah, lässt sich an dessen Zeichnungen ablesen. Jedes Bildnis schien bislang in den Skizzenbüchern zu fehlen. Erst aus dem Nachlass der älteren Schwester Ottilie kamen unlängst auch Darstellungen des Vaters zutage, insgesamt drei Seiten im Skizzenbuch von 1902/03 sowie ein Bildnis auf einem einzelnen Blatt von 1902 und schließlich die Darstellung von 1904, die den bettlägerigen Vater wenige Wochen vor seinem Tode zeigt. Trotz häufiger Abwesenheit war es wohl der Vater, der August Mackes künstlerische Neigungen entdeckte und förderte. Der Sohn behielt zeitlebens eine gute Erinnerung an die seltenen Sonntagvormittage, an denen der Vater ihm seine Sammlung zeigte und erläuterte. Die Erziehung des lebhaften und wilden Jungen lag jedoch vorwiegend in den Händen der lebenstüchtigen Mutter. Leider fehlte dem Vater letztlich das kaufmännische Talent. Nach dem Tode seines Schwagers und Teilhabers musste er das Bauunternehmen schließlich aufgeben. Als die Familie mit dem anderthalbjährigen August nach Köln übersiedelte, geriet sie zunehmend in eine schwierige wirtschaftliche Lage.

In Köln zog die Familie Macke in die Brüsseler Straße, die damals noch im Neubaugebiet und am Stadtrand gelegen war. Die Umgebung der aufgegebenen Stadtbefestigung war teilweise noch wildes Gelände, von Brennnesseln und Disteln bewachsen und mit Sandgruben, Kiesplätzen, Feldern und Gärten ein rechtes Paradies für eine abenteuerliche Kindheit. Auch die zahlreich vorhandenen Baustellen und Rohbauten boten herrliche Spielmöglichkeiten und waren zudem eine Fundgrube für Dinge, die – nicht allzu brave – Jungen gebrauchen konnten. Leider war dieses Paradies umkämpft. Die Jungen aus der Altstadt machten den Neulingen die Spielplätze streitig, und da gab es Differenzen aus verschiedenen Gründen. Zunächst einmal waren die Jungen aus der Neustadt nicht alteingesessen, außerdem gehörten sie meist einer anderen sozialen Schicht an, was man an der Sprache hörte. Und nicht zuletzt besaßen sie, was damals schwer wog, oft die falsche Religionszugehörigkeit. Sie waren nämlich Protestanten, so auch August Macke. In einer Schilderung für den Schwiegersohn Wolfgang Macke hat Hans Thuar, Mackes Jugendfreund, ein anschauliches Bild dieser erbitterten Kämpfe geliefert: Es müssen wahre Schlachten gewesen sein. August Macke behielt zeitlebens eine Narbe neben dem linken Auge als Erinnerung an einen Pfeilschuss in den Knochen.

Seinen ältesten und besten Freund Hans Thuar hat er dort 1897 bei einer groben Rangelei richtig kennengelernt. Es ging in dieser Streitigkeit der Zehnjährigen um Ostereier – und recht eigentlich um das Lenchen. Das Lenchen hatte ordentlich „dicke Beine“, worunter stramme Waden zu verstehen sind, und wurde daher als Inbegriff der Weiblichkeit allseits verehrt. Hans Thuar hatte mit Batikmustern kunstvoll verzierte Ostereier aus dem Spreewald zum Fest geschenkt bekommen. Aufgrund der Färbemethode waren sie jedoch nur weich gekocht und für die damals üblichen Wettkämpfe der Jungen um das widerstandsfähigste Ei nicht geeignet. Hans Thuar wollte sie Lenchen verehren, aber August Macke, möglicherweise aus Eifersucht, zerschlug sie ihm in den Taschen und wurde daraufhin wütend mit den Resten der Herrlichkeit bombardiert. Das führte zu Verletzungen an der Stirn durch scharfkantige Eierschalen. Eigelb, Blut und Tränen flossen, und die mitfühlende Reaktion von Hans Thuar brachte schließlich die Wende. Beide Kinder entdeckten ihre Gemeinsamkeiten und wurden unzertrennlich. Auch Thuar kam aus einem musisch interessierten Elternhaus, sein Vater besaß gleichfalls eine Sammlung an Kunstgegenständen, die von den Kindern gern gemeinsam bewundert wurde.

Diese Kinderfreundschaft festigte sich unauflöslich durch ein Unglück, das sich am 12. Mai 1899 ereignete. Beim Versuch, auf eine fahrende Pferdebahn aufzuspringen, fiel Hans Thuar von der Plattform und geriet unter die entgegenkommende Bahn. Im Alter von zwölf Jahren mussten ihm beide Beine abgenommen werden. Er verbrachte etwa ein Jahr im Krankenhaus, wurde mehrfach operiert und blieb danach ein Leben lang auf den Rollstuhl angewiesen. Seinen Lebensmut zu erhalten, ist dem gleichaltrigen August Macke gelungen, der an seinem Krankenbett zeichnete und alles versuchte, um das Interesse des Freundes wieder an das Leben zu fesseln und ihn zum Lachen zu bringen. Diese Beziehung der beiden blieb auch später eine besondere. Es war wohl Macke, der Thuar für den Gedanken gewann, Maler zu werden; er malte gelegentlich gemeinsam mit dem Freunde, stellte mit ihm aus und vermittelte wichtige Anregungen und praktische Verbindungen. Im Briefwechsel mit Thuar schlägt er einen ganz eigenen Ton an, der zwischen fantasiereicher Versponnenheit und einer derben Ausdrucksweise mit teilweise recht groben Scherzen schwankt. Innerhalb der Korrespondenz Mackes ist er einzigartig.

Wie Elisabeth, die spätere Frau des Künstlers, in ihren Memoiren bezeugt, wurde auch August Macke durch dieses Erlebnis verändert. Als er anschließend nach Bonn zog, war er mit der Zeit ein „stiller, nachdenklicher Junge“ geworden. Der Wechsel des Milieus, auch der Schulwechsel vom Kölner Kreuzgymnasium, das er seit 1897 besucht hatte, in die Untertertia des Bonner Realgymnasiums kam seinen veränderten Interessen entgegen.

Um den wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu entgehen, eröffnete die tatkräftige Mutter mithilfe ihrer Töchter im Hause Meckenheimer Straße (heute Thomas-Mann-Straße) Nummer 29 eine Fremdenpension. Obwohl durch praktische Notwendigkeiten begründet, förderte dieses Unternehmen der Mutter den heranwachsenden Macke in seiner Fähigkeit zu geselligen Kontakten und vermittelte ihm anregende Bekanntschaften. So gehörte Dr. Ludwig Deubner zu den Pensionsgästen, ein junger Altphilologe und Historiker, der damals als Privatdozent an der Bonner Universität lehrte. Deubner war viel gereist und fesselte Macke mit seinen Berichten über Italien und Griechenland. Mit Vinzenz Hundhausen schloss er Freundschaft, einem angehenden Juristen, der später weit herumkommen sollte; er lehrte als Professor in Peking. Auch in der Schule begegnete er interessanten Persönlichkeiten; dort schloss er sich eng an Lothar Erdmann an, den späteren Gewerkschafter, und fand mit ihm zu einer dauerhaften Freundschaft. In diesem Kreise errang der Schüler bald schon erste Anerkennung als Porträtist; er zeichnete, aquarellierte und malte Bildnisse, tätigte sogar schon erste Verkäufe.

Neben dem Porträt gehört die Aktdarstellung zu Mackes frühesten Themen; für sie stand vor allem ein Vetter, Walter Adolph, Modell, der in der Pension in der Meckenheimer Straße wohnte. Erste Aktstudien entstanden auch während der Klassenausflüge an die Sieg. In der Flussniederung badeten die Schulkameraden und führten „griechische Kampfspiele“ mit Wettkämpfen im Laufen, Bogenschießen und Speerwerfen auf. Der junge Macke lebte damals in einer Welt erträumten Griechentums. In der Themenwahl des ersten erhaltenen Skizzenbuchs Nr. 71 von 1902/03 spiegeln sich die Eindrücke seiner Schulbildung. Skizzen zum Thema der Irrfahrten des Odysseus, dessen Schiff verzweifelt zwischen Skylla und Charybdis rudert, oder zum Motiv des Orpheus mit der Leier gestalten Bildgedanken aus dem Vorstellungskreis humanistischen Bildungsgutes.

In dieser frühen Zeit des Heranwachsens empfing August Macke viele Anregungen und wesentliche Eindrücke während verschiedener Aufenthalte in Kandern, wohin seine Schwester Auguste nach ihrer Heirat mit dem „Kronenwirt“ Carl Giss gezogen war. Das Hotel Krone eignete sich geradezu ideal als Ausgangspunkt für Ausflüge, die Macke in den Schwarzwald und in die Schweiz führten und die ihm nachhaltige Naturerlebnisse und auch Kunsteindrücke bescherten. Durch datierte Arbeiten unter den Zeichnungen und Aquarellen war ein früher Aufenthalt in Kandern zunächst nur für das Jahr 1905 belegt. Ein 1903 datiertes Landschaftsaquarell – auch dies eine Neuentdeckung – belegt jedoch schon einen früheren Aufenthalt in diesem Jahr. Bereits damals lernte August Macke die Werke von Arnold Böcklin im Basler Museum kennen. Sie „verfehlten nicht ihre entscheidende, aber auch verführerische und gefährliche Wirkung auf das Fühlen und Denken“ des jungen Mannes, der sich schon früh bemühte, Klarheit in die Vielfalt der anstürmenden Eindrücke zu bringen. „Da fiel das Samenkorn Böcklin auf fruchtbaren Boden; er beherrschte damals Augusts, wenn man so sagen darf, künstlerische Anschauung“, berichtet Elisabeth. […]

© Verlag Hatje Cantz ©

Literaturangaben:
HEIDERICH, URSULA: August Macke. Der hellste und reinste Klang der Farbe. 117 Abbildungen, davon 88 farbig. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2008. 144 S., 24,80 €.


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