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Marianne Breslauers großartig inszenierte Welt

Von stillen Städten und neuen Frauen

© Die Berliner Literaturkritik, 16.11.10

Von Behrang Samsami

Die 1909 in Berlin geborene Marianne Breslauer war während ihres langen Lebens nur eine kurze Spanne als Fotografin tätig. Und doch ist es ihr in den wenigen Jahren von 1927 bis 1936 gelungen, ein Werk zu schaffen, das eigenständig und von hohem Wiedererkennungswert ist. Zugleich wirkt es „charakteristisch und repräsentativ für den Zeitabschnitt, in dem es entstanden ist“, wie die Kunsthistorikerin Dorothea Strauss in ihrem Aufsatz „Wirklichkeit inszenieren, Glaubwürdigkeit schaffen“ schreibt. Zusammen mit einer Reihe weiterer Essays findet sich ihr Beitrag in dem großformatigen Band „Marianne Breslauer. Fotografien“, der als Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung erschienen ist. Gezeigt wurde die bisher größte Auswahl aus ihrem Werk von Februar bis Mai 2010 in der „Fotostiftung Schweiz“ in Winterthur und anschließend von Juni bis September in der „Berlinischen Galerie“ in der deutschen Bundeshauptstadt. Aufgrund des großen Erfolgs in Berlin wurde die Schau vor kurzem noch bis Anfang November 2010 verlängert.

„Das private Bild, das Einfangen eines intimen Augenblicks war es, was sie an der Fotografie interessierte“, schreiben die Kunsthistorikerinnen Kathrin Beer und Christina Feilchenfeldt, beide Herausgeberinnen des vorliegenden Katalogs, in ihrem Vorwort über die Fotografin. Dieser Ansatz ist in allen ihren Bildern erkennbar, sowohl in ihren Porträts vor allem von jungen Menschen, vorzugsweise von den sogenannten Neuen Frauen, die ab den 1920er Jahren einen emanzipierten und selbstbewussten Typ darstellen, als auch in ihren Aufnahmen von Großstädten wie Berlin und Paris. Erinnern ihre Porträts anfangs an ihr großes Vorbild Frieda Riess (1890-1955), findet Breslauer relativ bald ihren eigenen Stil. Erhält sie ihre Ausbildung in Berlin im renommierten Lette-Verein, bescheinigt ihr Man Ray (1890-1976) in Paris, dass sie bereits alles könne. Daraufhin erkundet sie die französische Hauptstadt und macht wie zuvor etwa Eugène Atget (1857-1927) die Entdeckung einer „Fotografie der Straße“, die sie dann für sich weiterentwickelt.

Der broschierte Band präsentiert Breslauers unterschiedliche Sujets. Abgebildet sind ihre Einzelporträts wie die von der mit ihr befreundeten Schweizer Schriftstellerin und Journalistin Annemarie Schwarzenbach (1908-1942), die Aufnahmen von ihren Reisen in den Nahen Osten 1931 und nach Spanien 1933 – vorzugsweise von Landschaften, Kindern und dem dortigen Alltagsleben. Ferner sind Fotos von Berlin und Paris mit ihren Straßen und Brücken, aber auch das geschäftige Treiben dort mit Varieteangeboten und Ausstellungen zu sehen. Die allermeisten ihrer Bilder sind geprägt von dem „Wunsch nach einer unmittelbaren und alltagsnahen Beobachtungs- und Darstellungsweise“, wie der Fotografie- und Kunsthistoriker Florian Ebner in seinem Beitrag „L’air de Paris“ im Zusammenhang mit Breslauers Lehrzeit in der französischen Hauptstadt schreibt. Gerade ihre Bilder von Clochards und anderen gestrandeten Existenzen an der Seine stellen dabei intime Momentaufnahmen dar, die eine große Stille inmitten der lärmigen Großstadt ausstrahlen.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es ihr Interesse für das Medium Film ist – eine gelungene „Mischung aus Stummfilmdramaturgie, Bohème und Alltagsästhetik“, wie Dorothea Strauss schreibt –, das der Fotografin relativ schnell zu großem Erfolg verhilft. Mit Hilfe ihres väterlichen Freundes, des Schriftstellers und „Flaneurs“ Franz Hessel (1880-1941), kann sie ihre Arbeiten in deutschsprachigen Blättern, insbesondere in Illustrierten, den in der Zwischenkriegszeit wohl erfolgreichsten Publikationsorganen, veröffentlichen und sich so bereits schnell einen Namen machen. Nach dem halben Jahr in Paris (Mai – November 1929), kehrt sie wieder nach Deutschland zurück. In Berlin tritt sie anschließend für zwei Jahre eine Stelle beim Ullstein Verlag an, die ihr zur „zweiten Lehre“ wird, wie sie später in ihren Erinnerungen „Bilder meines Lebens“ (Zweite Auflage; Wädenswil 2009) einmal schreibt.

Doch wie in vielen anderen Fällen stellt die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 auch für Marianne Breslauer einen Wendepunkt für ihr Leben und ihre Arbeit dar. Obwohl sie wegen ihrer jüdischen Herkunft zunehmend Schwierigkeiten hat, als Fotografin zu arbeiten, veröffentlicht sie bis 1934 in zahlreichen Zeitschriften wie der „Frankfurter Illustrierten“, dem „Querschnitt“, der „Dame“ oder dem „UHU“. Ihre Emigration verläuft daher langsam und schrittweise über Amsterdam, St. Gallen und Ascona, bis sie sich schließlich in Zürich niederlässt. Publiziert sie weiterhin Fotos unter ihrem Namen, beendet sie ihre Tätigkeit 1937, um sich zusammen mit Walter Feilchenfeldt (1894-1953), den sie 1936 heiratet, dem Kunsthandel zu widmen. Ihre Wiederentdeckung, für die, wie der Fotografie- und Kunsthistoriker Manuel Gasser im Editorial des Katalogs schreibt, ihre Bekanntschaft mit der lange vergessenen Annemarie Schwarzenbach wichtig ist, wird sie im Gegensatz zu ihrer früh verstorbenen Freundin noch miterleben. Die Berlinerin stirbt 2001 im hohen Alter von 92 Jahren in Zürich.

Der Band „Marianne Breslauer. Fotografien“ versammelt „Fotos, die das Alltägliche auf wunderbare Weise dramatisieren“, wie es Florian Ebner in seinem Beitrag über die Paris-Bilder der Fotografin schreibt. Der Künstlerin gelingt, anders gesagt, mit den Worten von Dorothea Strauss eine einzigartige „Synthetisierung eines dokumentarischen und eines inszenierenden Blicks“, der den Betrachter auch und gerade wegen der Breslauer von ausgewählten Sujets fasziniert. Neben den 160 Fotografien bietet der Katalog mit den das Leben und Werk der Fotografin erläuternden Essays zudem auch einen wissenschaftlichen Zugang zu Marianne Breslauer. Eine biografische Zeittafel, eine Liste mit den zu ihren Lebzeiten veröffentlichten Fotografien sowie eine Bibliografie mit Angaben zu anderen Katalogen und Büchern, Beiträgen und Quellen geben dem interessierten Leser weitere Informationen und runden den vorliegenden, aufwendig gestalteten Ausstellungsband ab.

Literaturangabe:

Marianne Breslauer. Fotografien. Hrsg. von Kathrin Beer und Christina Feilchenfeldt in Zusammenarbeit mit der Fotostiftung Schweiz. Wädenswil 2010. Nimbus Verlag. 216 S. ISBN: 978-3-907142-55-4. Euro 38.


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